Kali Yuga

Kali Yuga beginnt etwa im Jahre 3101 vor unserer Zeitrechnung. Da sehen wir, daß unsere Seelen in immer neuen Verkörperungen auf der Erde erschienen sind, in denen sich der Blick der Menschen vor der geistigen Welt immer mehr verschlossen hat und so auch immer mehr eingeengt wurde auf die äußere Sinneswelt. Was wir im Kali Yuga gewinnen können, das ist, uns in unserem Ich-Bewußtsein zu festigen. Vorher war das nicht möglich, denn da mußte man eben erst das Ich in sich aufnehmen. [1]

In diesem Zeitalter hört das Vertrautsein mit der geistigen Welt auf, es schließen sich sozusagen die Tore gegenüber der geistigen Welt. Der Blick der Menschen wurde da immer mehr und mehr beschränkt auf die äußere sinnliche Welt und den Verstand, der die Eindrücke der Sinne verarbeitet, so daß die Menschen über die geistige Welt nur noch nachdenken konnten. Es ist das diejenige Zeit, wo der Mensch am ungeistigsten wurde und deshalb auch sich am meisten in der Sinnenwelt festlegte und festsetzte. Das war aber notwendig, um ein Selbstbewußtsein nach und nach bis zur höchsten Höhe entfalten zu können. Denn nur durch den groben Widerstand der äußeren Welt konnte der Mensch lernen, sich von der Welt zu unterscheiden und als Eigenwesenheit sich selber zu empfinden. Dieses Zeitalter nennt man Kali Yuga oder das finstere Zeitalter. [2]

Weil der Mensch nicht mehr hinausgehen konnte in diesem finsteren Zeitalter, dem Kali Yuga, aus der Sinneswelt in die geistige Welt, deshalb mußte das göttliche Wesen, der Christus bis in die physisch-sinnliche Welt heruntersteigen. Das ist der Grund, warum der Christus bis in einen fleischlichen Menschen, in den Jesus von Nazareth heruntersteigen mußte, damit durch die Anschauung des Lebens und der Taten des Christus auf der physischen Erde die Menschen im physischen Leibe den Zusammenhang gewinnen konnten mit den Reichen der Himmel, der geistigen Welt. [3]

Die Menschen des älteren lichten Zeitalters haben vorzugsweise das Licht der Pflanzenwelt empfangen. Die Planzen tranken gewissermaßen das kosmische Licht, und der Mensch trank wiederum aus dem Becher das Licht, das ihm die Pflanzen darreichten. Wir haben heute nur das tote Licht. Aber auf den Strahlen dieses toten Lichtes ist einstmals der Christus hereingezogen und hat das Mysterium von Golgatha vollbracht. Und mit dem Christus in richtiger Weise in uns, beleben wir alles Licht auf Erden um uns herum, tragen Leben in das tote Licht hinein, wirken selber belebend auf das Licht. Das heißt, wir müssen mit dem richtigen Christus-Impuls in das neue Zeitalter des Lichtes eintreten. Und die Verleugnung des Christus-Impulses ist es im Grunde genommen, welche die Menschen davon abhält, richtig zu sehen, wie ein finsteres Zeitalter in das lichte Zeitalter hinübergeht. [4]

Das Kali Yuga ist abgelaufen, und es beginnen die Menschenseelen jetzt neue Fähigkeiten zu entwickeln, jene Fähigkeiten, welche, weil eben das Zeitalter dafür da ist, wie von selber heraustreiben werden aus den Seelen gewisse hellseherische Kräfte, jene hellseherischen Kräfte, die während des Kali Yuga eben hinuntertauchen mußten ins Unbewußte. Da wird es eine Anzahl von Seelen geben, die das merkwürdige Ereignis erleben werden, daß sie das Ich-Bewußtsein haben werden, aber neben diesem wird es für sie so sein, wie wenn sie in einer Welt lebten, die eigentlich eine ganz andere Welt ist als diejenige ihres gewöhnlichen Bewußtseins: es wird sein wie schattenhaft, wie eine Ahnung, wie wenn ein Blindgeborener operiert wird (also dessen chaotischer Beginn der anfänglichen Seheindrücke). Durch dasjenige, was wir esoterische Schulung nennen, werden diese hellseherischen Fähigkeiten noch viel besser erlangt werden. Das wird aber, weil die Menschen fortschreiten, in den allerersten Anfängen, in den elementarsten Stufen durch die selbsttätige Entwickelung in der Menschheit auftreten. [5]

Mit dem Ablauf des 19. Jahrhunderts – die ganze orientalische Weisheit weist hin, aber von einem völlig anderen Gesichtspunkte, auf die Wichtigkeit dieses Ablaufes des 19. Jahrhunderts – ist die Zeit eingetreten, wo die Menschen erkennen müssen, daß etwas erfüllt ist, was früher nicht erfüllt war, wo die Menschen erkennen müssen: Jetzt ist in ihnen die Fähigkeit latent, jetzt ist in ihnen die Fähigkeit zum Aufwecken rein, durch die Tagesoffenbarung hindurch zu sehen dasjenige, was früher nur in der Nachtoffenbarung durch Michael vermittelt worden ist. [6]

Ältere Zeitalter haben davon gesprochen, daß mit dem Ende des neunzehnten Jahrhunderts das sogenannte finstere Zeitalter abläuft und daß in einem neuen Zeitalter für die menschliche Entwickelung ganz neue Bedingungen eintreten müssen. Diese werden schwer zu erringen sein, weil die Menschheit zunächst noch nicht an sie gewohnt ist, und sie werden, obwohl man es mit einem lichten Zeitalter zu tun hat, zunächst Zustände bringen, die sich für den Menschen chaotischer ausnehmen als diejenigen, die das lange, dunkle, finstere Zeitalter gebracht hat. Wir müssen nämlich ganz intensiv uns durchdringen mit dem Bewußtsein, daß eigentlich erst in diesem Zeitalter Menschen-Ich dem Menschen-Ich im seelischen Verkehr, ich möchte sagen, hüllenlos gegenübersteht. [7]

Zitate:

[1]  GA 118, Seite 22   (Ausgabe 1977, 234 Seiten)
[2]  GA 118, Seite 21   (Ausgabe 1977, 234 Seiten)
[3]  GA 118, Seite 23   (Ausgabe 1977, 234 Seiten)
[4]  GA 218, Seite 105   (Ausgabe 1976, 336 Seiten)
[5]  GA 118, Seite 25f   (Ausgabe 1977, 234 Seiten)
[6]  GA 194, Seite 38   (Ausgabe 1983, 254 Seiten)
[7]  GA 217, Seite 170   (Ausgabe 1988, 206 Seiten)

Quellen:

GA 118:  Das Ereignis der Christus-Erscheinung in der ätherischen Welt (1910)
GA 194:  Die Sendung Michaels. Die Offenbarung der eigentlichen Geheimnisse des Menschenwesens (1919)
GA 217:  Geistige Wirkenskräfte im Zusammenleben von alter und junger Generation. Pädagogischer Jugendkurs (1922)
GA 218:  Geistige Zusammenhänge in der Gestaltung des menschlichen Organismus (1922)