Jupiterbewußtsein

Wenn die folgende planetarische Periode eingetreten sein wird, dann wird der Mensch nicht bloß das um sich herum wahrnehmen, was ihm die gegenwärtigen physischen Sinne vermitteln, sondern er wird imstande sein, in Bildern die inneren, seelischen Zustände der ihn umgebenden Wesen zu beobachten. Er wird ein Bilderbewußtsein haben, jedoch mit Beibehaltung des vollen Selbstbewußtseins. Es wird nichts Traumhaftes, Dumpfes in seinem Bilderschauen sein, sondern er wird das Seelische wahrnehmen, allerdings in Bildern, doch so, daß diese Bilder der Ausdruck von Wirklichkeiten sein werden, wie es jetzt physische Farben und Töne sind. Gegenwärtig kann sich der Mensch nur durch geisteswissenschaftliche Schulung zu solchem Schauen erheben. [1] Jenes alte, dumpfe Bilderbewußtsein des Mondes, das auch noch in den ersten Zeiten des Erdenbewußtseins da war, das wird in seinen Bildern als hellseherisches Bewußtsein wieder da sein, aber es wird ausgestattet sein mit dem menschlichen Ich, so daß der Mensch so logisch überlegend sein wird mit diesem Jupiterbewußtsein, wie er es heute mit dem Tagesbewußtsein der Erde ist. Der Jupitermensch wird also in gewisser Beziehung ein niedriger Hellseher sein. Es wird ein Teil der seelischen Welt für ihn offenliegen. Er wird Wohl und Wehe seiner Umgebung in Bildern empfinden, die aufsteigen innerhalb seines imaginativen Bewußtseins. Dieser Jupitermensch wird daher in ganz anderen moralischen Verhältnissen leben. Die Bilder des Leidens würden eine Qual sein für den Jupitermenschen mit dem erhöhten Bewußtsein, wenn er nichts tun würde, um dieses Leid zu mildern. Nicht wird das Wohl und Wehe des einzelnen möglich sein ohne das des anderen. [2]

Die Vorstellungen des jetzigen Bewußtseinszustandes sind schattenhaft, blaß im Verhältnis zu den farbigen und tönenden Gegenständen der Außenwelt. Der Mensch spricht daher auch von den Vorstellungen als von etwas, das «nicht wirklich» ist. Ein «bloßer Gedanke» wird in Gegensatz gebracht zu einem Ding oder Wesen, das «wirklich» ist, weil es durch die Sinne wahrgenommen wird. Aber die Vorstellungen und Gedanken tragen die Anlage in sich, wieder wirklich, bildhaft zu werden. Später wird der Mensch dazu gelangen, nicht nur die schattenhafte Vorstellung des «Roten» in seiner Seele aufsteigen zu lassen, sondern wenn er «Rot» denkt, wird wirklich auch «Rot» vor ihm sein. Er wird Bilder, nicht bloß Vorstellungen schaffen können. Ein Gedanke an eine Farbe, wird die Farbe selbst sein; eine Vorstellung von einem Tone wird der Ton selbst sein und so weiter. Eine Bilderwelt wird künftig durch des Menschen eigene Macht in seiner Seele auf- und abwogen, wogegen während des Mondendaseins eine solche Bilderwelt ohne sein Zutun ihm das Innere ausfüllte. Die Farbe, welche mit der Farbenvorstellung zugleich entsteht, wird nicht bloß ein Bild in der Seele sein, sondern sie wird sich draußen im Raume entfalten. Und die Folge davon wird sein, daß der Mensch Wesen und Dinge höherer Art wird wahrnehmen können, als diejenigen seiner jetzigen Umgebung sind. Das sind Dinge und Wesen, welche von feinerer geistiger und seelischer Art sind, so daß sie sich in die gegenständlichen Farben, die für die heutigen physischen Sinneswerkzeuge wahrnehmbar sind, nicht kleiden, die sich aber durch die feineren seelischen und geistigen Farben und Töne offenbaren, welche der Mensch der Zukunft aus seiner Seele heraus wird erwecken können. [3]

Der Mensch wird so, wie er heute nur Sinneswesen bewußt beeinflussen kann, dann auf ganz andere Kräfte und Gewalten bewußt wirken können; und er selbst wird aus ganz anderen Reichen als jetzt ihm vollkommen erkennbare Einflüsse empfangen. Von Geburt und Tod in dem gegenwärtigen Sinne kann auf dieser Stufe nicht mehr die Rede sein. Wenn die Seele so weit ist, daß sie die Einflüsse von der Außenwelt nicht mehr durch die physischen Werkzeuge empfängt, sondern durch die Bilder, die sie aus Eigenem schafft, dann ist sie auch auf dem Punkte angelangt, ihren Verkehr mit der Umwelt willkürlich zu regeln, das heißt, ihr Leben wird nicht ohne ihren Willen unterbrochen. Sie ist Herr über Geburt und Tod geworden. Es wird dieser Zustand der Seele auch das «psychische Bewußtsein» genannt. [4]

Hinaufwachsen wird der Mensch also zu einem Bewußtsein, das nicht so verlaufen wird wie das Erdenbewußtsein, (des heutigen Menschen,) sondern das die Eindrücke von außen in ganz anderer Weise empfangen wird als der Erdenmensch, das aber von diesen Eindrücken dann in innerer Willkür sich Bilder wie Imaginationen entwerfen wird, etwa so, wie ich als Erdenmensch etwas wahrnehme und dann entwerfe, aufzeichne. Zur Erlangung dieses imaginativen Bewußtseins wird der Mensch das Jupiterdasein betreten. Und dieses Bewußtsein, das wird, ebenso wie das irdische Bewußtsein durch die Kindheit hindurch eine Entwickelung, eine Entfaltung durchmacht, auch eine Entfaltung, eine Entwickelung durchmachen. Dann wird die Mitte des Jupiterlebens kommen, und in dieser Mitte des Jupiterlebens wird durch einen Zeitraum, der uns wirklich versinnbildlicht werden kann durch drei Erdentage, für den Jupitermenschen Wichtiges eintreten: nämlich es wird eintreten mitten im Jupiterbewußtsein eine kurze Wiederholung – denn nur tagelang dauert die Wiederholung – des Erdenbewußtseins, das wirklich dann zum Jupiterbewußtsein sich verhalten wird wie unser jetziges Traumbewußtsein zu unserem Tagesbewußtsein. Wenn der Mensch in diese Wiederholung des Erdenbewußtseins eintreten wird, dann wird es über ihn kommen, daß er wird wollen wie eine Art inneren Resümees halten, wie eine Art Rückschau halten auf all dasjenige, was er sich erworben hat als Erdenmensch, was er sich überhaupt erworben hat durch all seine Vergangenheit hindurch. Was hast du eigentlich erreicht durch deine ganze Vergangenheit? – Diese Frage wird man sich stellen müssen aus kosmischer Notwendigkeit heraus. Und indem man diese Frage stellt, indem man diese Summe zieht, wird einem in mächtigem Jupitertraume vor die Seele treten, was man dadurch wirklich erreicht hat. Aber dieser Jupitertraum wird eine solche Realität haben wie alle unsere realen Erdenwahrnehmungen. Und dann wird es sich ereignen, daß eine Gestalt vor uns hintritt, die deutlich die Antwort gibt auf unsere Frage. – Luzifer wird es sein, und Luzifer wird uns sagen: Erkenne jetzt, daß du mir gehörst durch all dasjenige, was du als Mensch in deiner Vergangenheit geworden bist. Und man wird sicher wissen – so wie man als Erdenmensch einen anderen Menschen erkennt, wenn er vor einem in die physische Wahrnehmung tritt –, daß das Luzifer ist und daß man für ihn gearbeitet hat durch all dasjenige, was man als Mensch hat werden wollen. Dann wird man die ganze Bedeutung und Kraft des Christus erkennen, denn man wird erkennen, daß man durch sich selbst nicht imstande ist, einen anderen Entschluß zu fassen als den, Luzifer in sein Reich zu folgen. [5]

Nur dadurch, daß aus der Erdengeschichte auftreten wird, eben auch in der Erinnerung, das Christus-Ereignis, die Christus-Wesenheit, dadurch wird man wissen, daß in die Erdentwickelung diese Christus-Wesenheit eingetreten ist, und daß sie uns Gaben zu geben hatte, die sich uns jetzt, während des Jupiterdaseins, realisieren, das heißt, in wirkliche Jupiterwesenheit verwandeln, durch die wir allein imstande sein werden, nicht den Weg mit Luzifer zu gehen, sondern eben den Weg des sich regelmäßig entwickelnden Kosmos zu gehen.

Auf dem Jupiter ist es anders als auf der Erde, ganz anders. Auf der Erde ist es so, daß wir, wenn wir die Mitte der Dreißiger erreicht haben, in der zweiten Hälfte des Lebens in bezug auf manche Dinge genau dasselbe tun, was wir früher getan haben. Wir essen und trinken, um unser physisches Dasein zu erhalten, nach dem 35. Lebensjahr ebenso wie vor dem 35. Lebensjahr. Auf dem Jupiter wird das ganz anders sein. Auf dem Jupiter werden wir zwar nicht in derselben Weise zu essen und zu trinken brauchen, wie wir das im Erdenleibe auf der Erde tun müssen, aber man wird in einer ähnlichen Weise mit dem dann zu einem gehörigen Jupiterleibe mit den Wirkungen der Jupiterphysis zusammenhängen, wie man durch Speise und Trank mit den Wirkungen der Erdenphysis zusammenhängt. Man wird von dem Momente des Lebens ab, den man erreicht hat, indem sich das Erdenbewußtsein erneuert hat, nicht mehr in derselben Weise zu der Jupiterumgebung stehen können wie früher. Denken Sie, was es wäre, wenn wir im 35. Jahre eine solche Entwickelung unseres Leibes durchmachen müßten, daß zwar unser Inneres durchaus noch fähig wäre, Erdenjahre durchzumachen, daß aber unser Leib unfähig wäre, irgend etwas, was auf der Erde wächst, zu ertragen. [6]

So wird es dann auf dem Jupiter entsprechend sein. Natürlich sind die Verhältnisse ganz andere, aber so wird es sein: Wir werden nicht mehr können in der unmittelbar physischen Berührung mit dem Jupiter sein in unserer zweiten Lebenshälfte des Jupiter; das wird durchaus Naturgesetz sein dann. Aber durch die Kraft dieses Naturgesetzes wird Luzifer unsere Seele, die dann durchaus noch lebensfähig sein wird, aber die ihren Leib nicht wird unterhalten können für das Jupiterdasein mit sich führen können, wenn nicht Christus uns dann zeigen könnte, daß er in der ersten Lebenshälfte des Jupiterdaseins in uns Schätze angesammelt hat, die uns nun erhalten durch die zweite Hälfte unseres Daseins auf dem Jupiter. Auf dem Jupiter wird der Christus durchaus nicht bloß diesen ethischen Charakter nach außen zeigen, den er während des Erdendaseins zeigt, sondern er wird für die zweite Lebenshälfte der Menschen auf dem Jupiter der innere Ernährer sein, und die Ernährung wird zu gleicher Zeit von moralischer Bedeutung sein. Er wird uns allein dadurch, daß er Ernährungsschätze ansammelt in der ersten Lebenshälfte des Jupiterdaseins, von Luzifer befreien können. Würde das nicht geschehen, so würde Luzifer unsere Seele mitnehmen. Unser Leib, der dann keine Möglichkeit hätte, in eine Beziehung zur Jupiterphysis zu treten, er würde zerfallen, würde abfallen von uns, und Luzifer würde uns zeigen: Siehe da, deine Seele nehme ich, dein Leib aber fällt von dir ab in die Schatzkammer des Ahriman. Der wird ihn nun haben, der wird mit ihm weiterleben.

Alles wird davon abhängen, wie unsere Seele dann bei dieser Rückschau, im Wiederherstellen des Erdenbewußtseins, sich zurückerinnern kann an die Art und Weise, wie sie während der Erdenzeit sich erfüllt hat mit dem Geheimnis von Golgatha, sich erfüllt hat mit dem Verständnis davon, daß das Christus-Wesen in die menschliche Entwickelung eingetreten ist. Könnte es Seelen geben, in denen alle Erinnerung an den Christus ausgetilgt sein müßte, während des Jupiterdaseins, weil sie während des Erdendaseins sich niemals herbeigelassen haben, sich mit dem Verständnis für das Christus-Ereignis zu durchdringen, dann träte für sie der furchtbare Gerichtstag ein, daß Christus sie dann im Jupiterdasein nicht mit sich nimmt, um sie in der zweiten Hälfte ihres Jupiterdaseins zu ernähren und zu pflegen, sondern daß er sie verweist mit der einen Hand dahin, wo Ahriman die Jupiter-Physisreste nimmt, und mit der anderen Hand dahin, wo Luzifer die Seele auf seine Pfade führt. [7]

Zitate:

[1]  GA 13, Seite 178   (Ausgabe 1962, 444 Seiten)
[2]  GA 104, Seite 241f   (Ausgabe 1979, 284 Seiten)
[3]  GA 11, Seite 154f   (Ausgabe 1955, 252 Seiten)
[4]  GA 11, Seite 156f   (Ausgabe 1955, 252 Seiten)
[5]  GA 161, Seite 220ff   (Ausgabe 1980, 292 Seiten)
[6]  GA 161, Seite 222f   (Ausgabe 1980, 292 Seiten)
[7]  GA 161, Seite 223f   (Ausgabe 1980, 292 Seiten)

Quellen:

GA 11:  Aus der Akasha-Chronik (1904/1908)
GA 13:  Die Geheimwissenschaft im Umriß (1910)
GA 104:  Die Apokalypse des Johannes (1908)
GA 161:  Wege der geistigen Erkenntnis und der Erneuerung künstlerischer Weltanschauung (1915)