Haß

Die luziferischen Wesenheiten brachten mit der Freiheit und dem Ich-Bewußtsein den extremsten Ausdruck für dieses, den Haß. Niemals hätte der Mensch hassen können, wenn er sich nicht mehr und mehr in seinem Ich abgesondert hätte. Der Haß ist der extremste Ausdruck des Ich. Und worin wohnt unser Ich? Im Blute. Sogar unser physisches Blut verändert sich, wenn diese Verhärtung, diese Verholzung des Ich, der Haß, umgewandelt wird in Haßlosigkeit und diese in Liebe. [1]

Es gibt keine andere Ursache für Zorn und Haß und Antipathie als den luziferischen Einfluß. [2] Die Menschen gehen mit viel mehr Haß, als sie denken eigentlich durch die Welt, wenigstens mit viel mehr Antipathie. Und es ist nun schon einmal so: Haß, er wird zunächst, weil er der Seele ja Befriedigung gibt, gewöhnlich gar nicht erlebt. Er wird zugedeckt durch die Befriedigung. Wenn er zurückkommt (in der nächsten Inkarnation) als Leid, das uns von außen zuströmt, dann wird eben das Leid bemerkt; es kommt unweigerlich zurück. [3] Was Haß, was unbegründete Antipathie in der Welt wirklich bedeutet, daß lernt man erst kennen, wenn man deren Hinaufwirken in die geistige Welt durchschaut. Wer im Geistigen den Haß kennt, der legt ihn schon ab, es sei denn, daß er sich direkt in die Dienste gewisser böser Mächte begeben will. [4]

Alles, was aus dem Gebiete des Hasses fließt, zeigt sich in der imaginativen Welt so, daß es Furcht einflößt, daß es zurückstößt. Ja, es gehört zu den tragischen Seiten des Erlebens des Geistesforschers, daß er sehen muß, wie er sich selbst in die geistige Welt hineinstellt mit den Kräften von Sympathie und Antipathie. [5]

In dem Augenblicke, wo wir einschlafen, sind wir in einer Welt, wo alles das nicht ist, was heute zur Sympathie und Antipathie führt; in diesem Augenblicke, der auf das Einschlafen folgt, sind wir vereinigt mit denjenigen, die wir aus unserem Zeitbewußtsein heraus mit tiefster Antipathie bedenken. Wir müssen durch ihre Seele durchziehen im Reiche der Durchgänglichkeit. [6]

Wenn man den Haß mit geisteswissenschaftlichen Methoden aufsucht im Kosmos – jetzt nicht im einzelnen Menschen, in die einzelne Menschenseele spielt er herein, der Haß –, wenn man ihn aufsucht im Kosmos, so ist er da etwas ganz anderes. Im Kosmos ist der Haß eine Kraft, ohne welche niemals Individualisierung eintreten könnte. Niemals könnten Sonderwesen entstehen, auch das menschliche Sonderwesen könnte nicht entstehen, wenn es nicht im Kosmos die Kraft des Hasses gäbe. Im Kosmos entsteht Haß, aber im Kosmos darf Haß nicht so moralisch bewertet werden, wie wenn er in die Menschenseele hereinspielt. Im Kosmos ist Haß eine Kraft, welche aller Individualisierung zugrunde liegt. Die ganze Welt würde in eine große Einheit verschwimmeln, so wie es die nebulosen Pantheisten gerne haben möchten, es würde sich nicht gliedern, wenn nicht durch den ganzen Kosmos das waltete, was die Menschen zunächst nicht sehen im Kosmos, was aber in die Menschenseele hereinspielt und in der Menschenseele die besondere Form, die man da als Haß kennenlernt, annimmt. [7]

Wir tragen als Menschen in uns den Impuls des Hasses. Der ist dasjenige, was aus der geistigen Welt heraus die Zirkulation des Blutes bewirkt. Da unten in uns sitzt im Unterbewußten die moralische Kälte und der Haß, und der Mensch bringt in seine Seele leicht dasjenige herein, was in seinem Körper sitzt, so daß seine Seele gewissermaßen angesteckt werden kann von Menschenunverständnis. Weil das so ist, muß der Mensch moralische Wärme, das heißt, Menschenverständnis und Liebe eigentlich erst in sich heranerziehen, denn diese müssen besiegen, was aus dem Körperlichen kommt. Gewahr wird man eigentlich erst, wieviel im menschlichen Unbewußten Menschenunverständnis und Menschenhaß vorhanden ist, wenn der Mensch durch die Pforte des Todes geschritten ist. Das Physisch-Leibliche legt er ab. Die Impulse der Kälte, die Impulse des Hasses zeigen sich dann als bloße Naturkräfte. [8] Länger muß der Tote die Reste des Menschenhasses forttragen, denn die können ihm nur abgenommen werden durch die Gnade der zweiten Hierarchie, der Exusiai, der Kyriotetes, der Dynamis. So sehen wir denn, wie der Mensch, damit er den Anschluß findet an diejenigen Impulse, die zu seiner Weiterentwickelung beitragen können, zunächst beladen muß die Wesenheiten der höheren Hierarchien mit dem, was er aus seiner physischen und ätherischen Natur, wo es hingehört, hinaufträgt in die geistigen Welten. [9]

Zitate:

[1]  GA 264, Seite 220ff   (Ausgabe 1984, 476 Seiten)
[2]  GA 162, Seite 269   (Ausgabe 1985, 292 Seiten)
[3]  GA 235, Seite 73   (Ausgabe 1984, 228 Seiten)
[4]  GA 171, Seite 91   (Ausgabe 1964, 376 Seiten)
[5]  GA 63, Seite 279   (Ausgabe 1959, 439 Seiten)
[6]  GA 171, Seite 91   (Ausgabe 1964, 376 Seiten)
[7]  GA 184, Seite 86f   (Ausgabe 1968, 334 Seiten)
[8]  GA 230, Seite 199f   (Ausgabe 1985, 218 Seiten)
[9]  GA 230, Seite 202f   (Ausgabe 1985, 218 Seiten)

Quellen:

GA 63:  Geisteswissenschaft als Lebensgut (1913/1914)
GA 162:  Kunst- und Lebensfragen im Lichte der Geisteswissenschaft (1915)
GA 171:  Innere Entwicklungsimpulse der Menschheit. Goethe und die Krisis des neunzehnten Jahrhunderts (1916)
GA 184:  Die Polarität von Dauer und Entwickelung im Menschenleben. Die kosmische Vorgeschichte der Menschheit (1918)
GA 230:  Der Mensch als Zusammenklang des schaffenden, bildenden und gestaltenden Weltenwortes (1923)
GA 235:  Esoterische Betrachtungen karmischer Zusammenhänge - Erster Band (1924)
GA 264:  Zur Geschichte und aus den Inhalten der ersten Abteilung der Esoterischen Schule 1904 bis 1914. Briefe, Rundbriefe, Dokumente und Vorträge (1904-1914)