Jede Vorstellung, die etwa darauf ausgeht, bloß eine Zweiheit vorzustellen, sagen wir ein gutes und böses Prinzip, die wird niemals das Leben durchleuchten können. Das Leben kann man nur durchleuchten, wenn man es im Sinne der Dreiheit darstellt, wo das eine der Gleichgewichtszustand ist und die zwei andern die beiden Pole, nach denen der Gleichgewichtszustand fortwährend hinpendelt. Daher jene Trinität, die wir in dem Menschheitsrepräsentanten und in Ahriman und Luzifer in unserer Gruppe, die den Mittelpunkt dieses Baues zu bilden hat, darstellen wollen. [1] Sie haben daher in unserer Mittelpunktsgruppe für unseren Bau eben diese Trinität: den Menschheitsrepräsentanten, der aber so ausgebildet ist, daß in ihm vorzugsweise die Kräfte der Atmung, des Rumpfes wirken, die Herztätigkeit und so weiter – das ist die mittlere Figur –, dann diejenige Figur, in der alles Hauptmäßige, Kopfmäßige wirkt: Ahriman; diejenige Figur, in der alles Extremitätenmäßige wirkt: Luzifer. [2] Ich erkläre es fast jedem, von dem ich nur glaube, daß er einiges Verständnis dafür haben kann, jedem, der vor die bekannte Holzgruppe in Dornach kommt: «Christus in der Mitte als Menschheitsrepräsentant, Ahriman und Luzifer zu beiden Seiten», daß der Mensch, wie wir ihn vor uns haben, eigentlich nur vorzustellen ist dadurch, daß wir alles an ihm als einen Gleichgewichtszustand vorstellen. Auf der einen Seite ist das Übersinnliche, auf der anderen Seite das Untersinnliche. Das Menschenwesen stellt eigentlich immer nur den Gleichgewichtszustand zwischen dem Übersinnlichen und Untersinnlichen dar. [3]
In der Mitte dieser Gruppe wird eine Gestalt stehen, wie, ich möchte sagen, der Repräsentant des höchsten Menschlichen, das auf der Erde sich entfalten konnte. Daher wird man auch diese Gestalt des höchsten Menschlichen in der Erdentwickelung empfinden können als den Christus. Es wird die besondere Aufgabe sein, diese Christus-Gestalt so auszugestalten, daß man wird sehen können, wie dieser Erdenleib in jeder Miene, in allem, was an ihm ist, durchgeistigt ist von dem, was aus kosmischen, aus geistigen Höhen als der Christus eingezogen ist.
Durch die Erhebung des linken Armes der ChristusGestalt geschieht es, daß diese herabstürzende Wesenheit die Flügel zerbricht. Aber es darf das nicht so aussehen, als wenn etwa der Christus dieser Wesenheit (Luzifer) die Flügel zerbräche, sondern das Ganze muß künstlerisch so gestaltet sein, daß, indem der Christus den Arm hinaufhebt, schon in der ganzen Handbewegung liegt, daß er eigentlich auch mit dieser Wesenheit nur unendliches Mitleid hat. Diese Wesenheit erträgt aber nicht das, was durch den Arm und die Hand hinaufströmt; man möchte ihre Empfindung in die Worte kleiden: Ich kann nicht ertragen, daß so Reines auf mich heraufstrahlt. (Mit dieser Geste segneten die jüdischen Eingeweihten. [4] )
Denn nicht darum handelt es sich, daß von dem durchchristeten Menschen etwas ausströme, was Luzifer die Flügel bricht, sondern darum handelt es sich, daß Luzifer in sich selber etwas erlebt, indem er die Nähe des Christus empfindet, was zum Brechen seiner Flügel führt. Weil er die Christus-Kraft, den Christus-Impuls, nicht ertragen kann, bricht er sich die Flügel. Es ist ein Vorgang, der nicht durch einen Kampf des Christus gegen Luzifer erzeugt wird, sondern es ist ein Vorgang im Inneren des Luzifer selber, etwas, was Luzifer in sich erleben muß, und es darf keinen Augenblick zweifelhaft sein, daß es dem Christus unmöglich wäre, Haß- oder Kampfgefühle gegen Luzifer zu empfinden. Der Christus ist der Christus und erfüllt nur mit Positivem das Weltensein, bekämpft keine Macht der Welt! Aber sich muß die Macht bekämpfen, die als luziferische Macht nun in seine Nähe kommt. Daher darf nicht aggressiv die Hand wirken, die links erhoben wird, und auch nicht aggressiv darf die linke Hälfte des Antlitzes wirken mit dieser eigentümlichen Geste, sondern es ist wie ein Hinweisen darauf, daß im Weltenzusammenhange Christus etwas mit Luzifer zu tun hat. Aber nicht ein Kampf ist es. Der Kampf entsteht erst in der Seele des Luzifer selber. Er bricht sich selbst die Flügel, ihm werden die Flügel nicht von Christus gebrochen. Und ebenso ist es mit Ahriman, der in einer Felsenhöhle unter der rechten Seite des durchchristeten Menschen kauert, unter der die Erde nach oben getrieben wird: das Materielle, das in die Menschen wie hineingetrieben wird, das aber sich nicht erkraften kann und erlahmt, weil die Christus-Kraft in seiner Nähe ist. [5]
Und auf der anderen Seite da wird der Felsen ausgehöhlt sein. In dieser Aushöhlung ist auch eine Gestalt, die Flügel hat. Die Gestalt in der Höhle klammert sich förmlich ein in die Höhle, man sieht sie in Fesseln, man sieht sie da unten arbeiten, das Erdreich auszuhöhlen. Christus hat die rechte Hand nach unten gerichtet. Christus selbst hat unendliches Mitleid für Ahriman. Ahriman aber kann das nicht ertragen, er windet sich in Schmerzen durch das, was durch die Hand des Christus ausstrahlt. Und was da ausstrahlt das bewirkt, daß die Goldadern, die unten in der Felsenhöhle sind, sich wie Schnüre um den Ahrimanleib winden und ihn fesseln. [6]
Ahriman ist eine Wesenheit, die eigentlich nur dem Kopf nach eine an den Menschen erinnernde, eine dem Menschen ähnliche Gestalt hat. Sonst hat sie große, mächtige fledermausartige Flügel und einen drachen- oder wurmförmigen Leib. Man sieht etwas, was sich um die Gestalt herumwindet und unter dem sich die Gestalt selbst windet. Und man sieht, daß das, was sich um die Gestalt herumwindet, zusammenhängt mit der aufrechtstehenden Gestalt, daß es mit der ausgestreckten Hand der Gestalt in Verbindung steht. Von der strahlen Kräfte hinein, und die bringen etwas zum Umwinden. Man wird, wenn man ein wenig den Eindruck auf die eigene Seele spielen läßt, zu der Empfindung kommen, daß das das Gold ist, das da innen in den Klüften der Erde fließt, und daß die Gestalt da innen durch das Gold in den Klüften der Erde gefesselt ist.
Die andere Hand ist nach aufwärts gerichtet. Und dort oben auf dem Felsen ist nun wieder eine, dem Kopf nach menschliche Gestalt, nicht mit Fledermausflügeln, sondern mit zu Boden hängenden Flügeln; und der Körper ist in einer Weise gestaltet, daß man eine Ahnung haben kann: ja, was ist dieser Körper? Der Körper ist so etwas, als wenn der ganze Mensch Gesicht geworden wäre; als wenn ein Gesicht in die Länge gezogen wäre, elastisch ausgezogen und dadurch Körperformen entstanden wären. Diese Gestalt ist oben auf dem höchsten Gipfel des Felsens, und sie stürzt hinunter. Im Hinuntersturz werden die Flügel gebrochen. Und man sieht, daß die von der Hauptgestalt hinauflangende Hand sich abdrückt im Flügel.
Bei Luzifer wird man es zu tun haben mit einer eigentümlichen Art der oberen Kopfbildung, an die die menschliche nur erinnert. Da ist alles Bewegung des Geistigen, da ist nichts, was uns zwingt, die einzelnen Glieder der Stirn in festen Grenzen zu halten, wie das beim Menschen der Fall ist, sondern da ist jedes einzelne am oberen Kopf so beweglich, wie die Finger und die Hände an dem Arm beweglich sind. Selbstverständlieh kann man das nur hinstellen, wenn die Bewegungen die wirklichen Bewegungen sind, wie sie sich bei Luzifer finden.
Und dann ist vor allem zu bemerken, daß an dieser Gestalt dasjenige da ist, was in dem Luziferwesen von dem Mondendasein zurückgeblieben ist. Das stülpt sich über das eigentliche Antlitz, das sehr tief hinein Sie können sich aus dieser Beschreibung schon denken, daß wir es mit ganz anderem zu tun haben als mit dem gewöhnlichen menschlichen Antlitz. Es ist, wie wenn der Schädelkopf für sich wäre und unten hineingesteckt dasjenige, was beim Menschen das Antlitz ist. Und dann kommt noch etwas hinzu: daß eine gewisse Verbindung gerade bei Luzifer hinzutritt zwischen dem Ohr und dem Kehlkopf. Ohr und Kehlkopf sind ja beim Menschen erst seit seinem Erdendasein auseinandergeschnitten; sie waren im Mondendasein ein einziges Organ. Was die kleinen Flügel am Kehlkopf sind, das waren mächtige Verbreiterungen, die dann die untere Ohrmuschel bildeten. Mächtige Ohrmuscheln bildeten sich etwa da, während das obere Ohr, was jetzt nach außen geht, von der Stirn aus gebildet ist. Und was heute getrennt ist, so daß, wenn wir sprechen und singen, dieses nach außen geht und wir nur mit dem Ohr zuhören, das ging während der Mondenzeit nach innen und von da in die Sphärenmusik. Der ganze Mensch war Ohr. Das kommt daher, daß das Ohr die Flügel waren; so daß Sie haben Ohr, Kehlkopf und Flügelbildungen, die nach den Schwingungen des Weltenäthers sich harmonisch-melodisch bewegen, die dann hervorbringen die eigentümliche Erscheinung des Luzifer; die heranbringen, was makrokosmisch ist, denn Luzifer hat nur lokalisiert, was eigentlich nur kosmisch ist. Luzifer muß aussehen wie ein in die Länge gezogenes Antlitz, denn er ist ja ganz Ohr, die Flügel sind ja ganz Ohr, eine in die Länge gezogene Ohrmuschel.
Ahriman dagegen ist genau das Gegenteil, und natürlich ist, daß in der Modellierung überall da, wo bei Luzifer etwas mächtig ausgedehnt ist, wo wir bei Luzifer völlig ausgestalten, bei Ahriman nur Andeutungen sind. Während bei Luzifer der Stirnflügel mächtig ausgebildet ist, ist es bei Ahriman der Unterkiefer. Der ganze Materialismus der Welt drückt sich in der Bildung des Kau- und Zahnsystems aus. [7]
In der Regel erscheint ein Antlitz symmetrisch. Im kleinen sind ja Asymmetrien bei jedem vorhanden, es ist nur nicht so stark sichtbar, daß man es bemerkt. Aber bei dieser Hauptgestalt kommt das in Betracht, daß die ganze linke Seite hinauftendiert zu Luzifer, und daß die linke Stirnbildung eine andere ist als die rechte Stirnbildung, die nach Ahriman hintendiert. Es folgt die linke Hälfte des Gesichtes der nach oben bewegten Hand und die rechte Hälfte der nach unten bewegten Hand. Und das kommt nun zum Ausdruck, daß in die Hauptgestalt eine größere innere Beweglichkeit gelegt werden mußte, als für den Menschen da sein kann. [8]
(Abbildung: Christus-Köpfe: oben Modell aus dem Jahre 1914, 18 cm hoch; rechts Modell aus dem Jahre 1915)
Die so unendlich bedeutungsvolle Aufgabe, die wir zwischen West und Ost in Mitteleuropa haben, das ist die, das Gleichgewicht zu finden. Daher möchten wir in unserem Dornacher Bau hinstellen als plastische Gruppe das Größte der spirituellen Anforderungen unserer Zeit: das Gleichgewicht zu finden zwischen dem Verhältnis zu Luzifer und dem Verhältnis zu Ahriman. Der Christus steht inmitten als derjenige, der das Parzival-Element in die neuere Zeit heraufbringt, der nicht durch seine Kraft, sondern durch sein Dasein zur Sich-Überwindung die anderen bringen muß, so daß die anderen sich selbst überwinden und nicht er sie überwindet. [9]
Die Anschauung des Imaginativen kommt dadurch zustande, daß man gewissermaßen fortwährend das Asymmetrisehe anreiht aneinander. Deshalb war es notwendig, die Dornacher Mittelfigur [in der plastischen Holzgruppe], den Repräsentanten des Menschen, mit einer starken Asymmetrie zu zeigen, um eben dadurch zu zeigen, wie er zum Geistigen aufsteigt. [10] Es ist das ein Wagnis, die Figuren ganz asymmetrisch zu machen wie überhaupt die Asymmetrien bei diesen Figuren eine gewisse Rolle spielen – weil hier nicht so komponiert ist, daß der Kompositionsgedanke etwa so gedacht wäre: man nimmt Figuren, stellt sie zusammen und macht ein Ganzes – nein es ist das Ganze zuerst gedacht und das Einzelne herausgeholt. Daher muß links oben ein Gesicht eine andere Asymmetrie haben, als etwa rechts oben. Das ist ja ein Wagnis, in solchen Asymmetrien zu arbeiten, aber ich hoffe, daß man es künstlerisch gerechtfertigt empfinden wird, wenn man einmal überhaupt den ganzen Baugedanken durchempfinden wird. [11] Die Höhe der gesamten Plastik beträgt über 9 Meter. Diese Gruppe war gedacht in verschiedenen Holzarten, wegen des Krieges konnte sie aber nur in der einen Holzgattung (Ulme oder Rüster) geschnitzt werden. [12] (21.10.1917)
(Abbildung: gemalter Christus-Kopf aus der kleinen Kuppel aus dem Jahre 1918).
[1] | GA 186, Seite 112 | (Ausgabe 1979, 330 Seiten) |
[2] | GA 183, Seite 177 | (Ausgabe 1967, 195 Seiten) |
[3] | GA 324a, Seite 152 | (Ausgabe 1995, 1922 Seiten) |
[4] | Po1, Seite 306 | (Ausgabe 1985, 0 Seiten) |
[5] | GA 272, Seite 99f | (Ausgabe 1981, 336 Seiten) |
[6] | GA 159, Seite 248ff | (Ausgabe 1980, 388 Seiten) |
[7] | GA 157, Seite 252ff | (Ausgabe 1981, 320 Seiten) |
[8] | GA 157, Seite 254f | (Ausgabe 1981, 320 Seiten) |
[9] | GA 159, Seite 258f | (Ausgabe 1980, 388 Seiten) |
[10] | GA 324a, Seite 163 | (Ausgabe 1995, 1922 Seiten) |
[11] | GA 290, Seite 130 | (Ausgabe 1958, 158 Seiten) |
[12] | GA 250, Seite 0 | (Ausgabe 0, 0 Seiten) |
GA 250: | ??(Der Aufbau der Anthroposophischen Gesellschaft. Von den Anfängen bis zum Ausbruch des Ersten Weltkriegs) (0) |
GA 157: | Menschenschicksale und Völkerschicksale (1914/1915) |
GA 159: | Das Geheimnis des Todes. Wesen und Bedeutung Mitteleuropas und die europäischen Volksgeister (1915) |
GA 183: | Die Wissenschaft vom Werden des Menschen (1918) |
GA 186: | Die soziale Grundforderung unserer Zeit – In geänderter Zeitlage (1918) |
GA 272: | Geisteswissenschaftliche Erläuterungen zu Goethes «Faust» Band I: Faust, der strebende Mensch (1910-1915) |
GA 290: | (Der Baugedanke des Goetheanum) (Bildband) (1920/1921) |
GA 324a: | Die vierte Dimension. Mathematik und Wirklichkeit (1905-1922) |
Po1: | Ludwig Polzer-Hoditz: Erinnerungen an Rudolf Steiner (1985) |