Geschlechtlichkeit und Verstand

Die Herausbildung dieses physischen Zustandes (als Hauptmerkmal der Erdentwickelung) obliegt den Geistern der Form, den Exusiai. Sie bilden namentlich bei dem höchsten Reiche, dem Tier-Menschenreiche die früheren «Sinneskeime» zu wirklich geformten Sinnesorganen um. In allen früheren physischen Zuständen (siehe: Erdentwickelung), welche der Mensch durchgemacht hat, hatten die Sinnesorgane noch nicht die festgefügte Form. Nun hören diese Organe dadurch, daß sie eine feste Form erhalten, auf, aktiv zu sein; sie verlieren ihre Produktivität, sie werden rein passiv, geeignet zum bloßen Wahrnehmen des von außen als Gegenstände Dargebotenen. Die Produktionskraft zieht sich also von den Sinnesorganen zurück; sie geht mehr nach innen; sie bildet das Verstandesorgan. – Dieses Organ kann aber nicht gebildet werden, ohne daß wieder ein Hinabstoßen eines gewissen Teiles der menschlichen Genossen auf eine tiefere Stufe stattfindet (Tiere sind so entstanden). Jetzt aber stößt der Mensch einen Teil seines Wesens selbst in eine untergeordnete Region hinab. Er sondert einen Teil seines Wesens als die eigene niedere Natur ab. Und diese niedere Natur behält die Produktionskraft, welche die Sinnesorgane haben abgeben müssen. Diese in eine niedrigere Sphäre hinabgestoßene Produktionskraft wird zur geschlechtlichen Hervorbringungskraft, wie sie auf der Erde auftritt. Die Geister der Form würden alle Hervorbringungskraft und damit alles Leben erstarren machen, zur bloßen Form erhärten, wenn sie nicht diese Kraft auf einen Teil des Menschenwesens konzentrierten. Daher bewirken die Geister der Form die Geschlechtsbildung. Ohne diese müßten statt lebender Menschen Statuen entstehen.

Nun ist der ganze Vorgang mit einer völligen Umbildung der Erde verknüpft. Daß die geschilderten Wesen leben können, wird möglich, daß die Erde – jetzt noch mit dem Monde vereint – aus dem sich abspaltet, was als Sonne zurückbleibt. Das ist die äußere physische Bedingung für das Entstehen der äußeren Wahrnehmung, des Gegenstandsbewußtseins, und für die Herausbildung der geschlechtlichen Anlagen. Doch hat man es in dieser Zeit noch durchaus mit einer Doppelgeschlechtlichkeit zu tun. Das rührt davon her, daß die Mondenkräfte noch alle in der Erde drinnen stecken. Nur ist während dieser Zeit das Verstandesorgan, obwohl vorhanden, noch ganz untätig. Es wird erst seine Aktivität entfalten können, wenn die Geschlechts-Produktionskraft sich um die Hälfte vermindert hat, damit ist dann die Zweigeschlechtlichkeit gegeben. Äußerlich wird das bewirkt durch das Heraustreten derjenigen Kräfte aus der Erde, welche diese dann als der gegenwärtige Mond umkreisen. Wäre nun diese Abtrennung nicht erfolgt, dann hätte die ganze Erde zu einer starren Masse, zur bloßen Form werden müssen. So aber hat sich nur das aus ihr entfernt, was unbedingt fest werden mußte, und dies ist eben Mond geworden. So hat sich, aus der gemeinsamen planetarischen Materie heraus, die Erde das gerettet, was produktiv sein konnte, wenn auch nur auf dem niederen Gebiete des geschlechtlichen Lebens. Die Form des Geschlechtlichen rührt von den Formgeistern her. Aber damit ist nicht auch schon der Zug der beiden Geschlechter für einander, die Neigung derselben zu einander gegeben. Diese kommt davon, daß sich in dem Leben der beiden Geschlechter besondere Wesen verkörpern, welche von einem fremden Schauplatze herabsteigen: von der Venus. Durch sie wird jetzt die Liebe in ihrer untergeordnetsten Form, als Neigung der Geschlechter, der Erde einverleibt. Diese Liebe ist dazu berufen, sich immer mehr und mehr zu veredeln, und später die höchsten Formen anzunehmen. So wie nun die Venuswesen das Element der getrennten Geschlechtlichkeit abgeben, so bewirken sie andrerseits auch, daß der Verstand fruchtbar werden kann. Er erhält die Hälfte der an der Geschlechtskraft ersparten Produktionsfähigkeit. Aus diesem Grunde können sich jetzt die Monaden – zunächst ihr Manasteil –, die sich während Saturn-, Sonnen- und Mond-Zyklus gebildet haben, in das Verstandesorgan herabsenken. Doch wäre das Wirken der Monaden kalt und trocken geblieben, wenn nicht der Astralleib einen solchen Einschlag erhalten hätte, daß der Mensch die Tätigkeit seines Verstandes mit einer gewissen höheren Leidenschaftlichkeit betriebe. Dieser Einschlag kam dem Menschen vom Mars her. Und diejenigen, die ihn vermittelten, sind die luziferischen Wesenheiten. Sie bringen, als Eingeweihte, jetzt die Mars-Astralkräfte in den Astralleib des Menschen und fachen damit in diesem die Leidenschaft für die Betätigung des Intellekts an. Damit beleben sie die Erkenntnis des Menschen; sie fachen ihn zur Selbständigkeit an. Das ist die Hilfe in der Fortentwickelung des Menschen, welche durch das luziferische Prinzip geleistet wird. [1]

Zitate:

[1]  GA 262, Seite 82ff   (Ausgabe 1967, 355 Seiten)

Quellen:

GA 262:  Rudolf Steiner / Marie Steiner-von Sivers: Briefwechsel und Dokumente 1901–1925 (1901-1925)