Grade der Einweihung – Beispiel der Mithras-Mysterien

Das war eine Einweihungsart, die in ganz Vorderasien, auch über Griechenland und Rom hinaus, sogar bis in die Gegend des Donau- (und Rhein-)gebietes (im Römischen Reich), gepflegt worden ist. Sie wurde noch lange über die Zeit hinaus ausgeübt, in der das Christentum entstanden ist. Lange konnte man diese sieben Stufen durchmachen, auch in den Geheimkulten und Tempel Ägyptens, die oft in Felsen hineingebaut waren. Sie waren niemandem zugänglich als denjenigen, die als geläuterte Schüler und Eingeweihte nach strenger Prüfung damit bekannt geworden waren.

1. Zuerst gab es den Grad des Raben. Als Rabe trug der Einweihungsschüler diejenigen Kenntnisse, die in der sinnlichen Außenwelt gewonnen werden können, in das geistige Leben hinein. In den Mythen und Sagen hat sich der Begriff des Raben erhalten. Da gibt es die Raben des Wotan, die Raben des Elias, und auch in der deutschen Barbarossa-Sage sind die Raben die Vermittler zwischen dem im Berge verzauberten Kaiser und der Außenwelt.

2. Der zweite Grad war der des Okkulten. So hießen diejenigen, welche schon einige wichtige, wesentliche okkulte Geheimnisse ausgeliefert erhielten. Jeder, der im zweiten Grade eingeweiht war, hatte sein Ich veredelt bis zu dem Ich seiner Gemeinschaft, so daß er deren Interessen zu den seinigen machte. Das Okkulte einer Menschengemeinschaft vermochte in ihm zu leben.

3. Der dritte Grad war der des Streiters. Das waren Eingeweihte, in denen das höhere Selbst schon bis zu einem gewissen Grade erfühlt wird; wenn der Mensch im Stande ist das, was er als niederes Selbst ist, in den Dienst des höheren Selbst zu stellen.

4. Der vierte Grad ist dann erreicht, wenn völlige innere Harmonie und Ruhe, Ausgeglichenheit und Kraft erlangt ist. Man nennt diese Stufe der Einweihung den Grad des Löwen. Ein solcher Eingeweihter hat das okkulte Leben soweit in sich verwirklicht, daß er nicht nur mit Worten, sondern auch mit Taten für das Okkulte eintreten darf. [1] Im alten Palästina bezeichnete man denjenigen, der sich aufgeschwungen hatte das Bewußtsein eines ganzen Stammes in sich aufzunehmen, als einen Löwen. Der Löwe aus dem Stamme Juda, das ist ein Ausdruck (dafür).

5. Der Eingeweihte des fünften Grades hatte seine Persönlichkeit soweit überwunden, daß er die Volksseele in sich aufnehmen konnte. In ihm lebte der Volksgeist. In Persien nannte man einen solchen Eingeweihten einen Perser. Alles Einzelne ist für ihn geschwunden, und sein Bewußtsein ist identisch geworden mit dem Ganzen. Das ist ein höheres Bewußtsein. Heute ist es nicht so. Wir gehen heute durch die Zerklüftung aller Gemeinschaften ganz anderen Stufen der Einweihung entgegen. Aber es hatte noch Bedeutung, als das Christentum entstand, wo von Seelen, die im 5. Grade eingeweiht sind, die Rede ist (zum Beispiel: Joh. 1, Vers 45) «Jesus sah Nathanael zu sich kommen und spricht zu ihm: Siehe ein rechter Israeliter, in welchem kein Falsch ist.» Nathanael ist hier als ein Eingeweihter im fünften Grade bezeichnet. Er hat also kennengelernt dasjenige, was für uns Menschen die Kraft des Lebens ausmacht, den Baum des Lebens. Früher schon genießt man die Frucht von dem Baume der Erkenntnis. Die genießt man, wenn man überhaupt zu sich «Ich» zu sagen vermag. Für denjenigen, der in den höheren Welten zu schauen vermag, drückt sich alles dasjenige, was zunächst ein innerer Entwickelungszustand ist, auch auf den höheren Planen, zuerst auf dem astralen Plan, als ein Bild aus. Wenn nun der Mensch den fünften Grad der Einweihung erlangt hat, dann sieht er immerzu ein Bild auf dem astralen Plane, das er früher nicht gesehen hat, nämlich das Bild eines sich verästelnden weißen Baumes, den Lebensbaum. Von dem, der es erreicht hat, wird gesagt, daß er unter dem Lebensbaume saß. So saß auch der Buddha unter dem Bodhibaum und Nathanael unter dem Feigenbaum. Das sind Ausdrücke für die Bilder auf dem astralen Plan. Das, was da gesehen werden kann, sind Spiegelungen für innere, jetzt auch körperlich innerer Dinge. Dieser Bodhibaum ist nichts anderes als das astrale Spiegelbild des menschlichen Nervensystems. Der Mensch, der den Blick nach innen zu richten vermag durch die Einweihung, der sieht in die astrale Außenwelt sein Innenleben bis auf das Körperliche hineingespiegelt. [2]

6. Sechster Grad: Sonnenheld oder Sonnenläufer, weil sein Lauf ebenso harmonisch, ebenso rhythmisch geworden ist wie der Lauf der Sonne. Die Sonne repräsentiert die rhythmische, lebendige Bewegung des Planetensystems. Die Ikarus-Legende bezieht sich auf die Einweihung, denn Ikarus hat zu früh, ohne genügende Vorbereitung, versucht, die Sonne zu erreichen, und ist abgestürzt.

7. Grad: der Vater, weil er nun fähig geworden ist, Schüler heranzuziehen und der Beschützer aller Menschen zu sein; und weil er der Vater des neuen Menschen ist, zum zweiten Mal geboren in der erweckten Seele. [3]

Zitate:

[1]  GA 94, Seite 208ff   (Ausgabe 1979, 312 Seiten)
[2]  GA 94, Seite 210ff   (Ausgabe 1979, 312 Seiten)
[3]  GA 94, Seite 46   (Ausgabe 1979, 312 Seiten)

Quellen:

GA 94:  Kosmogonie. Populärer Okkultismus. Das Johannes-Evangelium. Die Theosophie an Hand des Johannes-Evangeliums (1906)