Ewigkeit

Wahr ist, was von Hegel gesagt worden ist, die Ewigkeit könne für die Seele nicht erst mit dem Tode beginnen, sondern müsse eine ihr eingepflanzte Eigenschaft schon im Erdenleben sein. Ewigkeit ist etwas, nach Plotin, was als eine Eigenschaft nicht etwa bloß zufällig verbunden ist mit dem geistig-seelischen Wesenskern des Menschen, sondern Ewigkeit gehört als eine Notwendigkeit zu der Natur der Menschenseele. [1] Wie hinter unserer Sinneswelt der Devachan selber für das gewöhnliche sinnliche Wahrnehmen verborgen ist, so ist hinter dem Augenblicke das Ewige verborgen. Und wie man nirgends sagen kann, da hört die Sinneswelt auf, und da beginnt die geistige Welt, sondern wie überall die geistige Welt das Sinnensein durchdringt, so durchdringt jeden Augenblick ihrer Qualität nach die Ewigkeit. Man erlebt nicht die Ewigkeit, wenn man hinauskommt aus der Zeit, sondern wenn man im Augenblick selber die Ewigkeit hellseherisch erleben kann. Sie ist in jedem Augenblick selber garantiert, denn sie steckt in jedem Augenblick drinnen.

Was dem Dasein zugrunde liegt – Augenblick und Ewigkeit –, ist immer und überall. Wie kommt es, daß die Ewigkeit einmal als Augenblick erscheint, daß das Ewige einmal zeitlich erscheint, und daß ein Wesen in der Welt die Gestalt des Zeitlichen annimmt? Das kommt von nichts anderem als davon her, daß unser Sinnensein überall, wo es auftritt, von luziferischen Wesenheiten zugleich durchsetzt ist. Und soweit das luziferische Wesen hereinspielt, soweit wird die Ewigkeit zur Zeitlichkeit gemacht. Sie müssen also sagen: Ein Wesen, das irgendwo in der Zeit auftritt, ist soviel ein ewiges Wesen, als es sich zu befreien vermag von dem luziferischen Dasein, und es ist ebensoviel ein zeitliches Wesen, als es unterliegt dem luziferischen Dasein. [2]

In den höheren Welten hat es auch keinen Sinn mehr, von solchen abstrakten Gegensätzen zu sprechen wie Ewigkeit und Zeitlichkeit; die hören auf, in den höheren Welten einen Sinn zu haben. Da muß man von Wesenheiten sprechen. Ihr Verhältnis zueinander spiegelt sich als der Gegensatz von Ewigkeit und Zeitlichkeit. [3] Ewigkeit besteht aus Unsterblichkeit und Ungeborenheit. Die Ungeborenheit entdeckt die Initiationserkenntnis vor der Unsterblichkeit. 214.136Ein Wesen, welches nie die Erde betreten haben würde, welches nie im Sinnensein gewesen wäre, würde nie auf den Gedanken kommen, die Welt habe einmal einen Anfang genommen und könne gegen ein Ende zulaufen, sondern es würde sich ihm immer nur eine in sich geschlossene Kreiswelt darstellen. Ein solches Wesen hätte gar keine Veranlassung zu sagen, es erstrebe die Ewigkeit, aus dem einfachen Grunde, weil überall alles ewig ist, weil nirgends etwas ist, über das man hinaussehen könnte als über ein Zeitliches in etwas Ewiges hinein. Dieses Gefühl der Zeitlosigkeit, des Zyklischen tritt also auf der entsprechenden Stufe des Hellsehens oder beim bewußten Durchleben des Schlaflebens auf. [4]

Zitate:

[1]  GA 61, Seite 478f   (Ausgabe 1962, 536 Seiten)
[2]  GA 138, Seite 95f   (Ausgabe 1986, 168 Seiten)
[3]  GA 138, Seite 97   (Ausgabe 1986, 168 Seiten)
[4]  GA 138, Seite 93   (Ausgabe 1986, 168 Seiten)

Quellen:

GA 61:  Menschengeschichte im Lichte der Geistesforschung (1911/1912)
GA 138:  Von der Initiation. Von Ewigkeit und Augenblick. Von Geisteslicht und Lebensdunkel (1912)