Erziehung

Es gibt im Grunde genommen auf keiner Stufe eine andere Erziehung als Selbsterziehung. Wir sind als Lehrer und Erzieher nur die Umgebung des sich selbst erziehenden Kindes. Wir müssen die günstigste Umgebung abgeben, damit an uns das Kind sich so erzieht, wie es sich durch sein inneres Schicksal erziehen muß. [1] Das Geistige kann man eigentlich nicht erziehen. Das muß man in Freiheit in die Welt hinaus entlassen. Geistiges kann der Mensch nur vom Leben lernen. [2]

Der Ätherleib der Pflanze hat in jedem Falle eine bestimmte innere Gesetzmäßigkeit, die abgeschlossen ist, die sich von Samen zu Samen hindurchentwickelt und die einen bestimmten Kreis hat, über den nicht hinausgegangen werden kann. Anders ist es beim Ätherleib des Menschen. Da ist es so, daß außer demjenigen Teil des Ätherleibes, der verwendet wird auf das Wachstum, auf dieselbe Entwickelung, die der Mensch auch in gewissen Grenzen eingeschlossen hat wie die Pflanze, daß außer diesem Teil sozusagen noch ein anderer Teil im Ätherleibe ist, der frei auftritt, der von vornherein keine Verwendung hat, wenn wir nicht dem Menschen in der Erziehung allerlei beibringen, der menschlichen Seele allerlei einfügen, was dann dieser freie Teil des Ätherleibes verarbeitet. So also ist wirklich ein durch die Natur selbst nicht verbrauchter Teil des Ätherleibes im Menschen vorhanden, durch den er die Vorstellungen, die durch die Erziehung in ihn hineinkommen, aufnehmen kann. [3]

Auf einer Alltagsstufe muß der Erzieher ein höheres Ideal erfüllen. Und er wird dieses Ideal erfüllen, wenn er das geheimnisvolle, aber doch offenbare Prinzip der völligen Selbstlosigkeit begreift und die Auslöschung des eigenen Selbst versteht. Diese Auslöschung des eigenen Selbst ist das Opfer, durch welches wir den Geist in unserer Umwelt vernehmen. Den Geist vernehmen wir in abnormen Zuständen, wenn wir auf abnorme Weise lust- und leidlos werden (siehe: Hypnose). Den Geist vernehmen wir hellsehend, wenn wir im normalen Zustande, bei vollem Tagesbewußtsein, lust- und leidlos werden. Und den Geist führen wir im richtigen Denken, wenn wir ihn selbstlos innerhalb der Erziehung führen. Dieses selbstlose Ideal, welches alltäglich von dem Erzieher angestrebt werden muß, kann nur als eine Gesinnung dem Erzieher voranleuchten. [4] In der Erziehung unendlich viel darauf ankommt, daß man auf den Zögling die richtige, eindringliche Aufmerksamkeit wenden kann. [5]

Zitate:

[1]  GA 306, Seite 131   (Ausgabe 1956, 214 Seiten)
[2]  GA 305, Seite 50   (Ausgabe 1979, 264 Seiten)
[3]  GA 107, Seite 86   (Ausgabe 1973, 328 Seiten)
[4]  GA 52, Seite 215   (Ausgabe 1972, 442 Seiten)
[5]  GA 303, Seite 179   (Ausgabe 1978, 368 Seiten)

Quellen:

GA 52:  Spirituelle Seelenlehre und Weltbetrachtung (1903/1904)
GA 107:  Geisteswissenschaftliche Menschenkunde (1908/1909)
GA 303:  Die gesunde Entwickelung des Menschenwesens. Eine Einführung in die anthroposophische Pädagogik und Didaktik (1921/1922)
GA 305:  Die geistig-seelischen Grundkräfte der Erziehungskunst. Spirituelle Werte in Erziehung und sozialem Leben (1922)
GA 306:  Die pädagogische Praxis vom Gesichtspunkte geisteswissenschaftlicher Menschenerkenntnis. Die Erziehung des Kindes und jüngeren Menschen (1923)