Erinnern und Äther

Was geschieht da in uns, wenn wir uns an einen Menschen und an die Begegnung mit ihm nach einiger Zeit erinnern? Nun, da kommt zuallererst folgendes in Betracht: Während wir vor fünf Tagen dem Menschen begegnet sind, hat unser Ätherleib gewisse Bewegungen ausgeführt. Wir fassen jetzt immer den Lichtteil des Ätherleibes ins Auge. Selbstverständlich schwingen die anderen Glieder, der Wärmeteil, der chemische Teil, der Lebensteil mit, aber wir fassen heute den Lichtteil unseres Ätherleibes ins Auge. Ich will ihn deshalb zunächst sogar Lichtleib nennen. Unser ätherischer Leib führt gewisse Bewegungen aus. Denn die Gedanken, die der Mensch erregt, mit dem wir zusammengetroffen sind, geben sich in unserem Lichtleib als innere Lichtbewegungen kund. Abgesehen davon, daß wir mit unseren Sinnen den Menschen sehen, haben wir somit von den Eindrücken her, die nicht durch die Sinne vermittelt werden, insofern etwas, als unser Lichtleib Bewegungen ausführt. Was Sie mit dem Menschen sprechen, was Sie von ihm empfinden, über ihn denken, das alles offenbart sich in Bewegungen Ihres Lichtleibes (vergleiche dazu: Aura).

Wenn man diesen Menschen nach Tagen nun wiederum sieht, so regt das neuerliche Sehen unsere Seele an, und diese Anregung bewirkt, daß der ätherische Leib rein aus seinem Beharrungsvermögen heraus diese Bewegungen wieder ausführt, die er vor fünf Tagen ausgeführt hat, als wir vor dem Menschen standen. Mit einem Stück seines Ich und seines Astralleibes ist man während des Wachbewußtseins immer im äußeren Lichtäther darin. Das Schlafen geschieht ja dadurch, daß sich auch das Stück vom astralischen Leib und Ich in den äußeren Äther zurückzieht, das beim Tagwachen im physischen und im Ätherleib drin ist. Da man also mit seinem Ich und mit seinem Astralleib im Grunde genommen im äußeren Äther darin ist und der innere Ätherleib durch sein Beharrungsvermögen die Bewegungen, die er damals ausgeführt hat, wieder ausführt, so fühlt man nun das, was der Ätherleib an Bewegungen ausgeführt hat. Und das ist das Erinnern. Vom äußeren Äther aus innere Ätherbewegungen wahrnehmen, vom äußeren Lichtäther die Bewegungen des inneren Lichtleibes wahrnehmen, das bedeutet: sich erinnern. Das ist das Erinnern, das ist das Gedächtnis, rein als Beobachtungsvorgang. Man kann sagen: Im äußeren Lichte sieht man die durchgemachten Bewegungen des inneren Lichtleibes. Man sieht sie deshalb nicht als Lichtbewegungen, weil dieser Lichtätherleib im physischen Leib darinnensteckt. Dadurch schlagen die Bewegungen des Ätherleibes überall an den physischen Leib an. Und durch dieses Anschlagen verwandeln sich die Lichtbewegungen des Ätherleibes in die Erinnerungsvorstellungen. [1]

Wenn der physische Leib weg ist, das heißt, wenn der Mensch durch die Todespforte gegangen ist, dann sind das Ich und der Astralleib natürlich zunächst viel intensiver im äußeren Äther darin, bis sie den äußeren Äther nach ein paar Tagen verlassen. Da wird der innere Lichtleib nicht mehr durch das Anschlagen an den physischen Leib zu solchen Vorstellungen angeregt, die nur im physischen Leib möglich sind. Daher sieht der Tote (oder der Mensch im Schockzustand) alles, was er erlebt hat und was der Ätherleib jetzt alles abschwingen läßt, wenn er durch den physischen Leib nicht mehr aufgehalten wird. Der Ätherleib hat fortwährend die Tendenz, alles dasjenige wiederum aus sich hervorzubringen, was er jemals in den Erlebnissen des physischen Lebens als Bewegungen ausgeführt hat. Es projiziert sich das ganze ätherische Bewegungsspiegeln zu einem tableauartigen Überblick über das vergangene Erdenleben. [2] (Siehe auch: Lebenstableau)

Warum geschieht das nicht im gewöhnlichen Leben? Warum nehmen wir da erst das Ergebnis des Anschlagens der Bewegungen des Ätherleibes an den physischen Leib wahr? – Das ist deshalb, weil Ahriman den physischen Leib so eng an das ganze Wesen des Menschen gekettet hat, daß der Ätherleib nicht leicht frei kommen kann; weil dieser Ahriman den physischen Leib so dicht zusammengeschlossen hat mit dem Ätherleib, mit dem Lichtleib, und weil fortwährend die dienenden Geister des Ahriman da sind, die bewirken, daß, wenn der Mensch im Lichte ist, sein Lichtleib mit seinen Schwingungen verdunkelt wird, so daß er ihn nicht schauen kann. Dämonen halten fortwährend den Lichtleib des Menschen im Dunkeln. [3]

Wenn Sie mit Ihren Augen eine Flamme sehen. Sie machen das Auge zu: Sie haben ein Nachbild dieser Flamme, das nach und nach verschwindet. Es stellt sich die ursprüngliche Konstitution des Auges und des damit verbundenen Nervenapparates wiederum her, nachdem diese verändert worden sind durch den Lichteindruck, der auf das Auge gemacht worden ist. Das, was da in Ihrem Sinnesorgan sich abspielt, das ist nur der einfachere Vorgang für dasjenige, was sich mit Ihrem Gedächtnis, mit Ihrer Erinnerung abspielt, wenn Sie äußere Eindrücke im allgemeinen empfangen, sie überdenken und sie Ihnen bleiben als Erinnerungsvorstellungen. Der Unterschied ist nur der, wenn Sie mit Ihrem Auge einen Eindruck aufnehmen, ich will sagen also eine Flamme, dann die Vorstellung der Flamme haben, und das wiederum abklingt, so dauert das nur kurz. Wenn Sie mit dem ganzen Menschen etwas aufnehmen, es überdenken, sich später immer wieder erinnern können, so dauert das lange, dauert unter Umständen für diese Erlebnisse Ihr ganzes Leben hindurch. Worauf beruht das? Ja, wenn Sie das einfache Abbild, das Sie im Auge haben, das vielleicht nur ein paar Minuten oder vielleicht nur Teile von einer Minute nachklingt, wiederum zum Versinken bringen, so ist es nur deshalb, weil das nicht durch Ihren ganzen Organismus weiter durchgeht, sondern in einem Teil, in einer Partie Ihres Organismus bleibt. Dasjenige, was Erinnerungsvorstellungen wird, das geht zunächst durch einen großen Teil Ihrer Gesamtorganisation, stößt von da aus in den Ätherleib hinein, durch den Ätherleib in den umliegenden Weltenäther, ihn an den äußeren Äther der Welt überträgt, ihn dort einschreibt, ihn dort einzeichnet. Das, woran Sie sich erinnern, schreiben Sie in den Weltenäther ein, und der Weltenäther ruft es in Ihnen, wenn Sie sich erinnern sollen, wiederum als einen Siegelabdruck hervor. Das Erinnern ist keine bloße persönliche Angelegenheit, das Erinnern ist ein Auseinandersetzen mit dem Weltenall. [4]

Dasjenige, was zu unserer Sinnesempfänglichkeit gehört, zu unserer Intelligenz gehört, es ist unsere persönliche Angelegenheit. In dem Augenblicke, wo die Sache anfängt, erinnerungsmäßig zu werden, ist dasjenige, was der Mensch in seinem Seelenleben erlebt, eine Auseinandersetzung mit dem Universum, eine Auseinandersetzung mit der Welt. In der Intensität, in der es notwendig ist, weiß die gegenwärtige Menschheit noch nicht, daß dies, was ich auseinandergesetzt habe, eine Tatsache ist. Aber es wird zu den Bestandteilen der Zukunftsbildung der Menschheit gehören, die beim ätherischen Menschen zur Erinnerung führen, nicht als eine bloß persönliche Angelegenheit zu betrachten, sondern als etwas, wodurch der Mensch der Welt verantwortlich ist. [5]

Zitate:

[1]  GA 165, Seite 118ff   (Ausgabe 1981, 240 Seiten)
[2]  GA 165, Seite 120f   (Ausgabe 1981, 240 Seiten)
[3]  GA 165, Seite 122   (Ausgabe 1981, 240 Seiten)
[4]  GA 194, Seite 140f   (Ausgabe 1983, 254 Seiten)
[5]  GA 194, Seite 142f   (Ausgabe 1983, 254 Seiten)

Quellen:

GA 165:  Die geistige Vereinigung der Menschheit durch den Christus-Impuls (1915/1916)
GA 194:  Die Sendung Michaels. Die Offenbarung der eigentlichen Geheimnisse des Menschenwesens (1919)