Entwickelung

Der Begriff der Entwickelung erstreckt sich über alle Welten; für die Gottheit ist er aber ein anderer. [1] Beim Fortgang der Entwickelung nämlich entwickelt sich sogar der Begriff der Entwickelung. [2] Entwickelung setzt keinen Anfang und kein Ende voraus. Entwickelung verläuft in Zyklen ohne Wiederholung, immer Neues wird eingeführt im zyklischen Fortschritt. Endlicher Anfang oder Ende ist ein Maya-Schluß, abstrahiert von sinnlichen Vorgängen. [3]

Einstmals war in der Evolution das göttliche Bewußtsein. Das war in seiner Unermeßlichkeit. Damit stehen wir im Beginne des Daseins. Dieses göttliche Bewußtsein bildet zunächst Abbilder. Wodurch unterscheiden sich nun diese Abbilder von dem göttlichen Bewußtsein? Dadurch, daß sie viele waren, während das göttliche Bewußtsein nur eins ist. Dadurch ferner, daß sie leer waren, während das göttliche Bewußtsein voll Inhalt war. Aber dieses leere Ich, wird zum Schauplatz gemacht, wo sich fortwährend verbinden die göttlichen Inhalte, die in zwei entgegengesetzte Lager geteilt werden. Und indem das leere Bewußtsein fort und fort Ausgleiche schafft, erfüllt es sich immer mehr mit dem, was ursprünglich im göttlichen Bewußtsein war. Es geht also die Evolution so vorwärts, daß das einzelne Bewußtsein erfüllt wird mit dem, was im Beginne das göttliche Bewußtsein an Inhalt hatte. Durch den fortwährenden Ausgleich in den Individualitäten geschieht das. Braucht das göttliche Bewußtsein dies zu seiner eigenen Vollkommenheit, zu seiner eigenen Entwickelung? Nein, das göttliche Bewußtsein braucht das nicht. Es hat alles in sich. Aber das göttliche Bewußtsein ist nicht egoistisch. Es gönnt einer unermeßlich großen Zahl von Wesen denselben Inhalt, den es selber hat. Dafür müssen diese Wesen aber erst das Ganze erwerben, so daß sie das göttliche Bewußtsein in sich haben und das göttliche Bewußtsein dadurch vermannigfaltigt wird. Diese Entwickelung, wie sie hier geschildert wird, war für den Menschen im Grunde genommen immer so. Sie war so, während der Saturnzeit, da macht die erste Anlage des physischen Leibes diese Entwickelung durch und befruchtet andererseits nach außen, für die Sonnenzeit die Anlage des Ätherleibes und so weiter. Der Vorgang ist derselbe, wird nur immer geistiger und geistiger. Immer weniger und weniger bleibt zuletzt draußen übrig, was noch zu befruchten ist. Daher wird der Mensch am Ende das, was draußen ist, immer mehr in seinem Inneren haben. Die Außenwelt wird zu seinem Inneren werden. Verinnerlichung ist die andere Seite der Vorwärtsentwickelung. Bei der Vulkan-Entwickelung wird dann alles befruchtet sein. Alles Äußere wird Inneres geworden sein. Vergöttlichung ist Verinnerlichung. Verinnerlichung ist Vergöttlichung. Das ist das Ziel und der Sinn des Lebens. [4]

Von der Sonne bis zum (künftigen) Jupiter ist die eigentliche Entwickelung der Wahrheit; sie wird auf dem Jupiter ganz innerlich geworden sein; dann wird sie ganz Weisheit sein: Wahrheit wird Weisheit. Auf dem (alten) Mond beginnt dann dasjenige, was die ästhetische Sphäre enthält. Das wird abgeschlossen sein auf der (künftigen) Venus. Wir haben also hier die Entwickelung der Schönheit. Eigentlich ruht das alles in unseren Untergründen, im Unterbewußten, was in diesen zwei Strömungen, und auch noch in der dritten enthalten ist; denn während der Erdentwickelung beginnt nun das, was wir nennen können die Moralitätssphäre. Sie erreicht ihren Abschluß auf dem Vulkan. Dazu haben wir noch eine vierte Strömung, die abgeschlossen sein wird, wenn einmal die Erde am Ziel ihrer Entwickelung angelangt sein wird. Die Strömung vom Saturn zur Erde wird genannt Gerechtigkeit. Auf dem Saturn wurden die Sinne zuerst veranlagt. Diese Sinne würden den Menschen nach allen Richtungen zerstreuen. Der Sinn würde, indem er sich entwickelt durch Sonne, Mond und Erde, den Menschen zur Orientierung, zur Gerechtigkeit tragen, wo auch die moralische Gerechtigkeit dann, wenn sie von der Moralnatur der Erde erfaßt wird, erst eingeschlossen wird; moralische Gerechtigkeit ist erst auf der Erde vorhanden. Was da innerlich wirkt dem Peripherischen der Sinne gegenüber als Zentralisches, das ist die Sphäre oder die Strömung der Gerechtigkeit. [5]

Entwickelung

Jede Entwickelung, die vorwärtsschreitet, tritt auch wiederum den Rückweg an. Alles Aufsteigen wird gefolgt von einem Absteigen, und alles Aufsteigen trägt schon die Anlage zum Absteigen in sich. Sobald das Physische beginnt rückläufig zu werden, ist für eine geistige Entwickelung Platz. [6] Das, was da wiederum belebt wird im Menschen, was immerfort einfach neben diesem Absterben da ist, das läßt sich nicht begreifen aus dem Sinnlichen heraus, das läßt sich nur begreifen aus dem Übersinnlichen heraus. [7]

Zitate:

[1]  GA 110, Seite 176   (Ausgabe 1981, 198 Seiten)
[2]  GA 110, Seite 180   (Ausgabe 1981, 198 Seiten)
[3]  GA 110, Seite 188   (Ausgabe 1981, 198 Seiten)
[4]  GA 155, Seite 54   (Ausgabe 1982, 252 Seiten)
[5]  GA 170, Seite 88f   (Ausgabe 1964, 276 Seiten)
[6]  GA 194, Seite 56   (Ausgabe 1983, 254 Seiten)
[7]  GA 198, Seite 239   (Ausgabe 1984, 320 Seiten)

Quellen:

GA 110:  Geistige Hierarchien und ihre Widerspiegelung in der physischen Welt. Tierkreis, Planeten, Kosmos (1909)
GA 155:  Christus und die menschliche Seele. Über den Sinn des Lebens. Theosophische Moral. Anthroposophie und Christentum (1912/1914)
GA 170:  Das Rätsel des Menschen. Die geistigen Hintergründe der menschlichen Geschichte (1916)
GA 194:  Die Sendung Michaels. Die Offenbarung der eigentlichen Geheimnisse des Menschenwesens (1919)
GA 198:  Heilfaktoren für den sozialen Organismus (1920)