Empfindung

Wenn man die Empfindung wirklich in genügender Selbstbeobachtung durchschaut, so erkennt man: Die Empfindung ist willensartiger Natur mit einem Einschlag von gefühlsmäßiger Natur. Sie ist zunächst nicht verwandt mit dem denkenden Erkennen, sondern mit dem fühlenden Wollen und dem wollenden Fühlen. [1]

Wir kennen das Schlafen im gewöhnlichen Leben nur dadurch, daß wir wissen: in der Nacht, wenn wir im Bette liegen schlafen wir. Wir wissen gar nicht, daß dieses Schlafen etwas ist, was eine viel größere Verbreitung hat, was wir fortwährend auch tun an unserer Körperoberfläche; nur mischen sich an unsere Körperoberfläche fortwährend Träume hinein. Diese «Träume» sind die Sinnesempfindungen, bevor sie vom Verstande und vom denkenden Erkennen erfaßt sind. [2]

Das orientalische Mitleid drückt ein verflossenes Urphänomen des Seelenlebens aus, das sich bekundet im innerlichen Miterleben desjenigen, was empfindet, was selber innerlich lebt. Dieses Miterleben der objektiv lebendigen Empfindung des anderen, das ist eigentlich nur möglich, wenn man jenseits von Laut oder inhaltlichem Worte sich erhebt zu dem, was in der imaginativen Sprachgestaltung lebt. Denn wenn wir dem Worte zuhören, dann hören wir, was der Kopf des anderen erlebt. Wenn wir aber das innerlich erfassen, was von Silbe zu Silbe, von Wort zu Wort, von Satz zu Satz in der imaginativen Sprachgestaltung lebt, dann erfassen wir was namentlich im Gemüte des anderen Menschen lebt. Und wie wir den ganzen Menschen hören, so gelangen wir – wenn wir uns aufschwingen zu dem Erfassen des begrifflosen, wortlosen Lautgestaltens, das nun auch nicht selber gehört wird, das innerlich erlebt wird – zum Erfassen desjenigen, was die Empfindung objektiv innerlich erlebt. [3]

Das, was der Mensch äußerlich in Bewegungen hat, wird im Inneren der Seele zur Ruhe gebracht und fängt dadurch an, in Töne überzugehen. Und so ist es mit allen anderen Sinnesempfindungen auch. Weil die Hauptesorgane nicht mitmachen die äußeren Bewegungen, strahlen sie diese Bewegungen in die Brust zurück und machen sie zum Ton, zur anderen Sinnesempfindung. Da liegt der Ursprung der Empfindungen. Da liegt aber auch der Zusammenhang der Künste. Die musischen, die musikalischen Künste entstehen aus den plastischen und architektonischen Künsten, indem das, was plastische und architektonische Künste nach außen sind, die musikalischen Künste nach innen sind. [4] An der Grenze zwischen Verstandesseele und Bewußtseinsseele greifen Wesenheiten ein, die wir Angeloi nennen. Sie sind es, die das verdichten, was sonst nur in Meinungen, in Begriffen bewußt erfolgt, die das verdichten zu dem, was man Empfindungen und was man Gefühle nennen kann. [5]

Seit dem Jahre 1879 mußten ahrimanische Mächte heruntersteigen von der geistigen Welt in das Reich der Menschen. Sie mußten durchsetzen die menschliche Intellektualität, das menschliche Denken und Empfinden und Anschauen. [6] (Als Folge davon) macht der Materialismus ja nicht nur die Seelen der Menschen materialistisch gesinnt, er verdirbt auch die Logik und macht das Empfinden stumpf. [7]

Zitate:

[1]  GA 293, Seite 109   (Ausgabe 1980, 216 Seiten)
[2]  GA 293, Seite 111   (Ausgabe 1980, 216 Seiten)
[3]  GA 206, Seite 179f   (Ausgabe 1967, 208 Seiten)
[4]  GA 293, Seite 154   (Ausgabe 1980, 216 Seiten)
[5]  GA 127, Seite 46   (Ausgabe 1975, 256 Seiten)
[6]  GA 177, Seite 168   (Ausgabe 1977, 262 Seiten)
[7]  GA 159, Seite 270   (Ausgabe 1980, 388 Seiten)

Quellen:

GA 127:  Die Mission der neuen Geistesoffenbarung. Das Christus-Ereignis als Mittelpunktsgeschehen der Erdenevolution (1911)
GA 159:  Das Geheimnis des Todes. Wesen und Bedeutung Mitteleuropas und die europäischen Volksgeister (1915)
GA 177:  Die spirituellen Hintergründe der äußeren Welt. Der Sturz der Geister der Finsternis (1917)
GA 206:  Menschenwerden, Weltenseele und Weltengeist – Zweiter Teil:. Der Mensch als geistiges Wesen im historischen Werdegang (1921)
GA 293:  Allgemeine Menschenkunde als Grundlage der Pädagogik (1919)