Embryonalentwickelung

Durch die Loslösung des Mondes von der Erde (siehe: Erdentwickelung) wurde für die Menschengestalten die Möglichkeit geschaffen, während ihres Erdenlebens den Menschenkeim den unmittelbar von der Erde kommenden Mondenkräften zu entziehen und ihn in sich so weit reifen zu lassen, bis er diesen Kräften überliefert werden konnte. Solange dann der Keim im Inneren des Menschen sich gestaltete, war er unter der Wirkung der Wesen (siehe: Elohim), die unter der Führung ihres mächtigsten Genossen (siehe: Christus) den Mond aus der Erde gelöst hatten. [1]

Beim Eintritt in eine neue Verkörperung ist es nun so: Das Ich steigt aus der geistigen Welt herab, mit allen bis dahin erworbenen unvergänglichen Extrakten sowohl des Ätherischen als des Astralen (siehe: Kausalleib). Zunächst zieht es naturgemäß alle astralen Qualitäten zu seinem neuen Astralleibe zusammen, die seiner bisherigen Entwickelung entsprechen, und dann erst in derselben Weise die ätherischen Qualitäten. Alles das spielt sich ab in den ersten Tagen nach der Empfängnis, und erst vom 18.–20. Tag darnach arbeitet der neue Ätherleib selbständig an der Entwickelung des physischen Menschenkeimes, während vorher der Ätherleib der Mutter das vollzieht, was später vom Ätherleib zu besorgen ist. Erst mit diesem 18.–20. Tag nach der Empfängnis nimmt sozusagen die Individualität, die sich da verkörpern will und die (nur) bis dahin ihr Ich mit einem neuen Astralleib und Ätherleib umkleidet hat, Besitz von dem bis dahin von der Mutter gebildeten physischen Leibe. In dem Augenblick, ehe diese Besitzergreifung erfolgt, besteht also die menschliche Wesenheit genau aus denselben Wesensgliedern wie in dem Augenblick des Todes; im letzteren Falle hat sie gerade den physischen Leib in jenem Augenblick abgeworfen, im ersteren Falle den physischen Leib noch nicht aufgenommen. In diesem Augenblick hat der Mensch dann eine Art von Vorschau über sein kommendes Leben, so wie er im Augenblick des Todes eine Rückschau auf das verflossene Leben hatte (siehe: Lebenstableau). Diese Vorschau aber vergißt der Mensch, weil die Konstitution seines physischen Leibes noch nicht geeignet ist, diese Vorschau gedächtnismäßig zu behalten. [2] (Siehe dazu auch: Idiotie).

Zuerst haben wir es bei der Menschwerdung zu tun mit der Entwicklung des Keimes, der in den ersten Tagen einem kleinen Fischchen ähnlich sieht. Diesem Keim kommt etwa am siebzehnten Tag das Astralwesen entgegen; und dieses Astralwesen kennt der psychische Forscher so gut wie der physische Forscher das Physische. Der Seher sieht im Astralen viele trichterförmige Gestalten. Das sind die werdenden Menschen; das sind die Wesenheiten, die ihre physische Verkörperung suchen. Von dem dringenden Wunsche beseelt, sich zu verkörpern, durcheilen diese Gebilde mit großer Geschwindigkeit den Astralraum und suchen nach physischer Stofflichkeit. Wer den zweiten Teil des «Faust» gelesen hat und sich an die Szene mit dem Homunculus erinnert, der wird sie nur verstehen, wenn er weiß, daß Goethe diesen Vorgang hat darstellen wollen. Diese astralen Gebilde haben die verschiedensten Färbungen, von denen wir uns kaum eine Vorstellung machen können. Innerhalb dieses Astralkörpers befindet sich ein Streifen, der sich ins Unbestimmte verliert. Er ist von hellgelber Farbe. Dieser Astralkörper verbindet sich mit dem von ihm selbst gewählten physischen Körper, wenn der Embryo ungefähr die Gestalt eines Fischchens hat. Dann tritt eine Veränderung ein. Es spaltet sich der Lichtstrahl in zwei Teile, in zwei hell-leuchtende Strahlenstreifen. Das ist bei der Mehrzahl der Menschen der Fall, und so würde Ihnen das erscheinen, wenn Sie die Menschen bei ihrer Entstehung verfolgen könnten. Nur bei wenigen Menschen zeigt sich ein etwas anderer Vorgang. Nur wenige Menschen zeigen einen bleibenden hellen Streifen, der allerdings etwas verblaßt in dem Augenblick, wo er bei anderen Menschen ganz verschwindet, aber er bleibt doch. Das sind diejenigen Menschen, welche ein spirituelles Schauen haben. Wir halten zunächst fest an dem gewöhnlichen Vorgang, wo das Lichtstreifchen sich teilt. Nun vereinigt sich das astrale Gebilde mit dem physischen Menschenkeim. Von dem einen Tröpfchen wird alles durchströmt, gleichsam von einer hellgelben Flüssigkeit. Dieses wächst später zu dem sogenannten sympathischen Nervengeflecht aus, welches das physische Nervensystem des Menschen versorgt. Wir haben ja außer dem Gehirn- und Rückenmarksystem ein anderes Nervensystem, das sympathische, das die niederen Funktionen dirigiert. Der eine Tropfen durchströmt das sympathische Nervensystem, der andere Gehirn- und Rückenmarksystem. So wird der Mensch beseelt. Gesetzmäßig gehen die beiden Lichtkegel in das Physische über und durchgeistigen es. Bei jedem Mensehen tritt erneut dieser Lichtschein auf, der das Gehirn im besonderen durchzieht. Wenn der Moment eingetreten ist, dann ist tatsächlich das, was der Mensch mitgebracht hat aus dem früheren Leben, und das, was er aus der physischen Welt hat, miteinander vereinigt. So kommen die beiden Wesenheiten zusammen, welche den vollen Menschen ausmachen. Wir haben gelebt in früheren Inkarnationen; wir sind durch die geistige Welt hindurchgegangen; da waren wir Geist. Der Geist geht herunter durch die astrale Welt und umgibt sich mit dem Astralstoff. Das ist das, was der Mensch mitbringt aus dem früheren Leben und was er anzieht aus der astralen Sphäre. Diese beiden Dinge sind es, die der Mensch mitbringt, das Geistige und das Astrale. Der Lichtschein, das sind die Fähigkeiten, die wir mitbrachten aus früheren Leben. Diese ziehen ein, nachdem das Wesen den brennenden Wunsch gestillt hat, mit einem astralen Organismus verbunden zu sein. Von jetzt ab wächst der Menschenkeim nicht nur durch die physische Kraft, sondern auch von innen heraus. Was er in früheren Leben gewonnen hat, das arbeitet jetzt von innen heraus an der Herstellung des Körpers. Nicht Ihr Organismus baut Ihre Seele auf, sondern Ihre Seele baut Ihren Organismus auf. Der Menschenkeim ist erst wenige Tage alt, wenn er mit der Seele vereinigt wird. Er ist das einzige, was uns von außen gegeben wird. Er wird uns durch ganz bestimmte Gesetze gegeben. [3]

Wenn sich der menschliche Keim im mütterlichen Leibe entwickelt, dann vereinigt sich allerdings in der dritten Woche das Ich mit den anderen Gliedern der menschlichen Organisation, aber es kommt erst in den letzten Monaten vor der Geburt nach und nach zur Wirksamkeit. Da erst wird das Ich eine innerliche, bewegende Kraft. [4] Es kann eine Vereinigung des seelisch-geistigen Menschen nach Ich, astralischem Leib und ätherischem Leib mit dem physischen Menschenembryo nur dadurch erfolgen, daß sich der ätherische Leib des mütterlichen Organismus allmählich von dem physischen Menschenkeim zurückzieht. [5]

In dem, was sich zum äußeren physischen Menschen entwickelt von der Eizelle aus, also in dem, was von der Eizelle aus wächst durch fortwährende Zellteilung größer und größer wird – da sind die Erdengesetze drinnen –, (dagegen) wirksam in dem, was nur in der Mutter vorhanden ist und abstirbt während der Embryonalentwickelung, um sich mit der Geburt zu verlieren und in den Tod überzugehen; in dem, was da einhüllt den werdenden Menschen und dann von ihm abfällt: in dem walten die alten Mondengesetze. Und mit dem hängt zusammen dasjenige, was über das einzelne Menschenleben hinausgeht, was einen Zusammenhang schafft zwischen dem einzelnen Menschen und seinen Vorfahren, was sich einschließt in den Begriff der Vererbung. [6]

Würde der Mensch 12 Monden-Monate im mütterlichen Leibe verweilen, so würde sich eine abgeschlossene Kreisbildung ergeben. Er verweilt nur 10 Monden-Monate dort. Daher bleibt noch von seiner Entwickelung etwas offen. Damit beschäftigt sich nun alles das, was einwirkt aus dem Kosmos nach der Geburt. Vor der Geburt wirken zehn Zwölftel der kosmischen Kräfte auf die menschliche Hauptesbildung, die übrigen zwei Zwölftel werden der außermütterlichen Bildung überlassen. Aber es beginnt auch schon diese außermütterliche Bildung während der Embryonalzeit. Außer den kosmischen Kräften wirken auf den Menschen noch andere Kräfte, und die gehen jetzt im Wesentlichen von der Erde selbst aus. Die wirken nicht auf das Haupt, die wirken auf den Gliedmaßenmenschen. In den Armen und Händen, in den Beinen und Füßen spielen die Kräfte der Erde. Nach innen setzt sich dieses Spiel so fort, daß es zum Stoffwechsel wird. [7]

Die kosmische Wesenheit wirkt eigentlich so, daß der Mensch zunächst aus dem Kosmos heraus einen ganz runden Kopf bekommen würde. Nur dadurch, daß ihn einmal das Sonnenlicht durch den Mond anschaut (Vollmond), wird das Antlitz gebildet, dadurch, daß sich das Sonnenlicht abwendet (Neumond), wird die Grundlage geschaffen für den Hinterkopf. Es wird differenziert, was sich kugelförmig aus dem Kosmos heraus bildet. Daß der Mensch nicht bloß einen Kopf embryonal entwickelt, rührt davon her, daß die Erde schon während der Hauptesbildung wirkt. Aber sie wirkt so, daß der Mensch, wenn er bloß der Erde unterliegen würde, wenn nicht die kosmische Einwirkung da wäre, er eine Säule werden würde. Der Mensch ist eigentlich eingeschlossen, eingeklemmt zwischen dem Säulewerden, Radiuswerden von der Erde aus und dem Kugelwerden vom Kosmos aus. Wie Voll- und Neumond in ihrer Verschiedenheit Antlitz und Hinterkopf bedingen, so bedingen diejenigen kosmischen Kräfte, die in Winter und Sommer, Frühling und Herbst ausgedrückt sind, daß unsere Gliedmaßen konfiguriert sind, daß wir zwei Beine haben und nicht eine Säule sind. Dieses Zusammenwirken von Kosmischem und Irdischem, das ist es, was in unserer menschlichen Form sich ausdrückt. Niemand versteht die menschliche Form, der sie nicht begreifen will aus dem Zusammenwirken der Erde mit dem Kosmos. [8]

Zitate:

[1]  GA 13, Seite 242   (Ausgabe 1962, 444 Seiten)
[2]  GA 100, Seite 99f   (Ausgabe 1981, 276 Seiten)
[3]  GA 88, Seite 45ff   (Ausgabe 1999, 256 Seiten)
[4]  GA 114, Seite 116   (Ausgabe 1955, 225 Seiten)
[5]  GA 235, Seite 65   (Ausgabe 1984, 228 Seiten)
[6]  GA 161, Seite 30f   (Ausgabe 1980, 292 Seiten)
[7]  GA 202, Seite 17f   (Ausgabe 1980, 296 Seiten)
[8]  GA 202, Seite 20f   (Ausgabe 1980, 296 Seiten)

Quellen:

GA 13:  Die Geheimwissenschaft im Umriß (1910)
GA 88:  Über die astrale Welt und das Devachan (1903-1904)
GA 100:  Menschheitsentwickelung und Christus-Erkenntnis. Theosophie und Rosenkreuzertum – Das Johannes-Evangelium (1907)
GA 114:  Das Lukas-Evangelium (1909)
GA 161:  Wege der geistigen Erkenntnis und der Erneuerung künstlerischer Weltanschauung (1915)
GA 202:  Die Brücke zwischen der Weltgeistigkeit und dem Physische des Menschen. Die Suche nach der neuen Isis, der göttlichen Sophia (1920)
GA 235:  Esoterische Betrachtungen karmischer Zusammenhänge - Erster Band (1924)