Schilderung von Teilen der übersinnlichen Welt
► Welt des Geistes oder Devachan

Bevor nun der Geist auf seiner weiteren Wanderung betrachtet werden kann, muß das Gebiet selbst erst beobachtet werden das er betritt. Es ist die «Welt des Geistes» (siehe: Devachan). Diese Welt ist der physischen so unähnlich, daß man sich der Gleichnisse bedienen muß, um zu schildern. Es ist alles, was hier beschrieben wird, der physischen Welt so unähnlich, daß es (überhaupt) nur in dieser Weise geschildert werden kann. [1] Vor allen Dingen muß betont werden, daß diese Welt aus dem Stoffe – auch das Wort «Stoff» ist natürlich hier in einem sehr uneigentlichen Sinne gebraucht – gewoben ist, aus dem der menschliche Gedanke besteht. Aber so wie der Gedanke im Menschen lebt, ist er nur ein Schattenbild, ein Schemen seiner wirklichen Wesenheit. Wie der Schatten eines Gegenstandes an einer Wand sich zum wirklichen Gegenstand verhält, der diesen Schatten wirft, so verhält sich der Gedanke, der durch den menschlichen Kopf erscheint, zu der Wesenheit im «Geisterland», die diesem Gedanken entspricht. Wenn nun der geistige Sinn des Menschen erweckt ist, dann nimmt er diese Gedankenwesenheit wirklich wahr. In dieser Welt sind nun zunächst die geistigen Urbilder aller Dinge und Wesen zu sehen, die in der physischen und in der seelischen Welt vorhanden sind. Man denke sich das Bild eines Malers im Geiste vorhanden, bevor es gemalt ist. Dann hat man ein Gleichnis dessen, was mit dem Ausdruck Urbild gemeint ist. In der wirklichen Welt des Geistes sind solche Urbilder für alle Dinge vorhanden, und die physischen Dinge und Wesenheiten sind Nachbilder dieser Urbilder. – Wenn derjenige, welcher nur seinen äußeren Sinnen vertraut, diese urbildliche Welt leugnet und behauptet, die Urbilder seien nur Abstraktionen, die der vergleichende Verstand von den sinnlichen Dingen gewinnt, so ist das begreiflich; denn ein solcher kann eben in dieser höheren Welt nicht wahrnehmen; er kennt die Gedankenwelt nur in ihrer schemenhaften Abstraktheit. Er weiß nicht, daß der geistig Schauende mit den Geisteswesen so vertraut ist wie er selbst mit seinem Hunde oder seiner Katze und daß die Urbilderwelt eine weitaus intensivere Wirklichkeit hat als die sinnlich-physische. Allerdings ist der erste Einblick in dieses «Geisterland» noch verwirrender als derjenige in die seelische Welt. Denn die Urbilder in ihrer wahren Gestalt sind ihren sinnlichen Nachbildern sehr unähnlich. Ebenso unähnlich sind sie aber auch ihren Schatten, den abstrakten Gedanken. – In der geistigen Welt ist alles in fortwährender beweglicher Tätigkeit, in unaufhörlichem Schaffen. Eine Ruhe, ein Verweilen an einem Orte, wie sie in der physischen Welt vorhanden sind, gibt es dort nicht. Denn die Urbilder sind schaffende Wesenheiten. Sie sind die Werkmeister alles dessen, was in der physischen und seelischen Welt entsteht. Ihre Formen sind rasch wechselnd; und in jedem Urbild liegt die Möglichkeit, unzählige besondere Gestalten anzunehmen. Sie lassen gleichsam die besonderen Gestalten aus sich hervor-sprießen; und kaum ist die eine erzeugt, so schickt sich das Urbild an, eine nächste aus sich hervorquellen zu lassen. Und die Urbilder stehen miteinander in mehr oder weniger verwandtschaftlicher Beziehung. Sie wirken nicht vereinzelt. Das eine bedarf der Hilfe des andern zu seinem Schaffen. Unzählige Urbilder wirken oft zusammen, damit diese oder jene Wesenheit in der seelischen oder physischen Welt entstehe. Außer dem, was durch «geistiges Schauen» in diesem «Geisterlande» wahrzunehmen ist, gibt es hier noch etwas anderes, das als Erlebnis des «geistigen Hörens» zu betrachten ist. [2] Sobald nämlich der «Hellsehende» aufsteigt aus dem Seelen- in das Geisterland, werden die wahrgenommenen Urbilder auch klingend. (Aber) dieses Klingen ist ein rein geistiger Vorgang. Es muß ohne alles Mitdenken eines physischen Tones vorgestellt werden. Der Beobachter fühlt sich wie in einem Meere von «Tönen». Und in diesen Tönen, in diesem geistigen Klingen drücken sich die Wesenheiten der geistigen Welt aus. In ihrem Zusammenklingen, ihren Harmonien, Rhythmen und Melodien prägen sich die Urgesetze ihres Daseins, ihre gegenseitigen Verhältnisse und Verwandtschaften aus. Was in der physischen Welt der Verstand als Gesetz, als Idee wahrnimmt, das stellt sich für das «geistige Ohr» als ein Geistig-Musikalisches dar. Die Phythagoreer nannten daher diese Wahrnehmung der geistigen Welt «Sphärenmusik». In den folgenden Beschreibun-gen des Geisterlandes sollen der Einfachheit halber die Hinweise auf diese «geistige Musik» weggelassen werden. Man hat sich nur vorzustellen, daß alles, was als «Bild», als ein «Leuchtendes» beschrieben wird, zugleich ein Klingendes ist. Jeder Farbe, jeder Lichtwahrnehmung entspricht ein geistiger Ton, und jedem Zusammenwirken von Farben entspricht eine Harmonie, eine Melodie und so weiter. Wo von den Urbildern in dem Folgenden gesprochen wird, sind also die «Urtöne» hinzuzudenken. Auch andere Wahrnehmungen kommen hinzu, die gleichnisartig als «geistiges Schmecken» und so weiter bezeichnet werden können. [3]

Zitate:

[1]  GA 9, Seite 119f   (Ausgabe 1961, 214 Seiten)
[2]  GA 9, Seite 120ff   (Ausgabe 1961, 214 Seiten)
[3]  GA 9, Seite 123f   (Ausgabe 1961, 214 Seiten)

Quellen:

GA 9:  Theosophie. Einführung in übersinnliche Welterkenntnis und Menschenbestimmung (1904)