Vater-Prinzip

Der physische Leib wird uns verliehen durch das, was man nennt das Vater-Prinzip. Aber durch die Eigentümlichkeit, die sich ausdrückt durch das Wort des Christus-Jesus: «Ich und der Vater sind Eins», werden wir durch den Christus-Impuls auch des Vater-Prinzips teilhaftig, das heißt es führt uns der Christus-Impuls zugleich zu den göttlichen Vaterkräften. [1]

Wenn wir auf die ursprünglichste Gestalt des Geistes zurückgehen würden, aus dem alles Sinnlich-Physische hervorgeht, so würden wir es nennen müssen die Grundlage alles Seins, in der christlichen Esoterik dasjenige, was man in der Gottheit das Vater-Prinzip nennt. Es liegt zugrunde alledem, was Geschöpf ist, das göttliche Vater-Prinzip. Was also ist dem Menschen verhüllt worden, indem sich für ihn alles eingetaucht hat in Maya oder Illusion? Das göttliche Vater-Prinzip. Statt der Trugbilder der Sinne müßte er in allem, was um ihn herum ist, das göttliche Vater-Prinzip sehen. [2] Mit dem allgemeinen Gottesprinzip ist das Vater-Prinzip gemeint. Das einseitige Vaterprinzip wird (auch) in derjenigen Geistesströmung gepflegt, die an Darwin, an Haeckel und so weiter anknüpft. [3]

Der Initiierte innerhalb der althebräischen Kultur charakterisierte das, was mit ihm selber durch die Initiation geschehen war, in der folgenden Art. Er sagte: Die allgemeine Menschheit hat das als ihr Eigentümliches, daß der Vater sie zwar erhält und trägt, daß aber der Vater nicht in das Bewußtsein einzieht und nicht das Bewußtsein zum Ich entfacht. Der Vater gibt dem gewöhnlichen Menschen lediglich den Geist des Atems; er haucht ihm den Atem ein, und der ist die lebendige Seele. Aber es empfand der Initiierte, daß zu dem, was da als lebendige Seele eingehaucht wurde, ein besonderes Geistiges, das lebendige Vaterprinzip des Kosmos, in dem Menschen einzog. Und dann, wenn in diesem alten Initiierten der hebräischen Welt dieses göttliche Vaterprinzip eingezogen war und der Mensch dessen bewußt geworden war, dann sprach dieser Mensch mit vollem Rechte aus, was bei ihm «Ich» bedeutete: Ich bin der Ich-bin. – Und so sah man auch einen solchen Menschen, der unter den alten Völkern herumging und mit Recht durch die Innewohnung des göttlichen Vaterprinzips das Ich aussprechen konnte, das im ganzen Altertum eigentlich der unaussprechliche Name der Gottheit, der Vatergottheit war, so sah man den selber als den Stellvertreter des Vaters auf Erden an. Und man nannte diese Initiierten die Väter, die unter den Völkern herumgingen. Väter nannte man sie, denn sie vertraten das göttliche Vaterprinzip unter den anderen Menschen. Und man sagte von ihnen, daß in sie einzog in den Mysterien der göttliche Vater. Daher sah man die Mysterien als etwas an, in dem sich innerhalb des Irdischen entwickelt, was sonst nur draußen den ganzen Kosmos durchwallt und durchwebt. Innerhalb der Mysterienstätte und dann wiederum durch die Mysterienstätte im Menschen, wurde dem göttlichen Vaterprinzip eine Hütte gebaut. Der Mensch selber wurde zu dieser Hütte des göttlichen Vaterprinzips. [4]

Der Christus hat seine Himmelfahrt gehalten, er ist unsichtbar geworden. Denn hätte er in einer gewissen Weise seine volle Sichtbarkeit behalten, wenn er den Menschen innegewohnt und das Ich ausgelöscht hätte, so daß diese nur hätten gut werden können dadurch, daß der Christus eigentlich in ihnen handelnd gewesen wäre. Aber er sandte den Menschen diejenige göttliche Wesenheit, die nun nicht das Ich-Bewußtsein auslöscht, zu der man sich erhebt nicht im Anschauen, sondern gerade im unanschaulichen Geiste. Er sandte den Menschen den `Heiligen Geist. So daß der Mensch, wenn er nun im vollen Sinne des Wortes sich vor die Seele führt, was er eigentlich für ein Wesen ist, sagen muß: Wenn ich zurückblicke zu dem, was die alten Initiierten wußten, so sehe ich, daß in mir lebt das Vaterprinzip, welches den Kosmos erfüllt, welches in diesen alten Initiierten auftrat und bei ihnen das Ich entfaltete. Durch das Innewohnen dieses Vaterprinzips erinnerten sich die alten Initiierten in vollständiger Klarheit an die Art und Weise, wie sie lebten, bevor sie heruntergestiegen waren in die physische Welt. Da suchten sie das Göttliche in dem Vorgeburtlichen, in dem Präexistenten. [5]

Erst wenn der Mensch nicht nur seine höhere Natur wird hinaufentwickeln können, sondern seiner niederen Natur völlig entsagen kann und schöpferisch auftreten wird, kann sich inkarnieren der höchste Adept, der Saturnadept, das Vaterprinzip – der verborgene Gott. [6]

Zitate:

[1]  GA 140, Seite 58   (Ausgabe 1980, 374 Seiten)
[2]  GA 112, Seite 243   (Ausgabe 1959, 292 Seiten)
[3]  GA 165, Seite 219f   (Ausgabe 1981, 240 Seiten)
[4]  GA 214, Seite 61f   (Ausgabe 1980, 208 Seiten)
[5]  GA 214, Seite 69   (Ausgabe 1980, 208 Seiten)
[6]  GA 93a, Seite 190   (Ausgabe 1972, 286 Seiten)

Quellen:

GA 93a:  Grundelemente der Esoterik (1905)
GA 112:  Das Johannes-Evangelium im Verhältnis zu den drei anderen Evangelien, besonders zu dem Lukas-Evangelium (1909)
GA 140:  Okkulte Untersuchungen über das Leben zwischen Tod und neuer Geburt. Die lebendige Wechselwirkung zwischen Lebenden und Toten (1912/1913)
GA 165:  Die geistige Vereinigung der Menschheit durch den Christus-Impuls (1915/1916)
GA 214:  Das Geheimnis der Trinität. Der Mensch und sein Verhältnis zur Geistwelt im Wandel der Zeiten (1922)