Zukunft

Eine Zeit ist denkbar, in einer fernen Zukunft – für den Okkultisten mehr als denkbar –, in welcher alles dasjenige, was wir seit dem Griechentum als Geschichte mit uns herumtragen, ruht, wir wollen nicht davon sprechen, wo es ruht; eine Zeit ist denkbar, wo sich die Völkerwelle durch Asien nach Europa, nach Amerika hinübergewälzt haben wird, und wo die Menschen von alle dem, was wir jetzt als europäische Geschichte erzählen und erleben, so wenig wissen werden hier auf dem physischen Plane, wie wir heute wissen von dem, was sich vor 4 – 6000 Jahren in Europa zugetragen hat. Auf eine Zeit können wir blicken, wo sich diese Völkerwelle durch Asien herübergewälzt haben wird, in welcher ein ganz anderes Leben als heute sich entwickeln wird, und wo gleichsam in historisch-geologischen Schichten alles dasjenige liegen wird, was uns heute bis in die innersten Fibern des Herzens hinein bewegt. So vergangen wird es dann sein, wie heute für uns dasjenige vergangen ist, was vor 3 bis 5000 Jahren auf europäischem Boden geschehen ist. Die Zeit wird kommen, wo man, sagen wir, Goethe so entdecken wird, wie der heutige Mensch die alte Welt in den ersten ägyptischen Hieroglyphen entdeckt hat, wie er entdeckt hat dasjenige, was sich damals abgespielt hat. Äußerlich physisch werden Menschen da sein, die nötig haben werden, Goethe so zu entdecken. [1] In der 5. Kulturepoche muß ein Geistiges aus eigener Kraft errungen werden; in der 6. Kulturepoche werden die Menschen kommen und das Erarbeitete, das Errungene annehmen als ihre Anschauung, als ihr Erlebnis, aber als etwas, was sie nicht selbst errungen haben. Sie werden aufbewahrt in den Kräften, die nicht ringen, sondern das Geistige als etwas Äußerliches, Selbstverständliches entgegennehmen. [2] (Der Spiegelung) des abrahamitischen Zeitalters gehen wir entgegen und dieses muß uns und wird uns Gewaltiges bringen. [3]

Was in der Zukunft leben wird, sind ja die wiederverkörperten Menschen der Gegenwart. Gesunde Rassen in der Zukunft, und namentlich gesunde Führer der zukünftigen Rassen werden entstehen, wenn im Sinne des Karmagesetzes vernünftig in die Zukunft hinein gelebt wird. Denn wenn der einzelne Mensch sich vervollkommnet, so wirkt er damit auf die Völker- und Rassenorganismen der Zukunft zurück. [4] Die Menschen leben gegenwärtig in Inkarnationen, in denen es gerade noch geht, nicht viel zu wissen von der komplizierten Menschennatur; aber es werden Zeiten kommen – die Menschenseelen werden in diesen Zeiten wieder inkarniert sein –, da wird es nicht gehen. Da werden die Seelen beginnen müssen, endlich zu wissen, wie der Mensch zusammenhängt mit dem Weltenall. Man kann sagen, gegenwärtig durchschreiten wir gerade noch jenes Zeitalter, in dem es dem Menschen noch nicht selbst überlassen ist, die verschiedenen Glieder seiner Natur zusammenzuhalten, wir leben in einer Zeitepoche, in der diese verschiedenen Glieder noch zusammengehalten werden ohne unser Zutun. Es werden eben Zeiten kommen, in denen der Mensch sich durch Erfahrung recht kompliziert finden wird, und in denen er sich nur aus der Erkenntnis heraus wird zusammenhalten können. Alle Zukunft aber muß vorbereitet werden, und vorbereiten die Erdenkultur-Entwickelung für jenes Zeitalter, in dem der Mensch wird wissen müssen, wie er sich zusammenzuhalten hat aus seinen verschiedenen Teilen, das ist die Aufgabe der geisteswissenschaftlichen Weltanschauungsströmung. [5]

Das, was kommen müßte, wenn nur die alten Impulse fortwirken würden, wäre ein vielleicht heute noch ungeahntes, die Menschen nicht nur Überwältigendes, in äußerer Beziehung Überwältigendes, sondern betäubendes Dominieren, Überhandnehmen der bloß äußerlichen Technik und ein Zugrundegehen, weil aus der Menschenseele fortziehend, alles religiösen, wissenschaftlichen, philosophischen, künstlerischen und auch im höheren Sinne ethischen Interesses. Zu einer Art lebendiger Automaten würden die Menschen, wenn nicht neue geistige Impulse kommen würden. [6] Aus dem, was von alten Zeiten kommt, stammen die Fermente, welche zunächst Europa an den Anfang seines Abgrundes gestellt haben (siehe: 1. Weltkrieg), welche Asien und Amerika gegeneinander bringen werden (siehe: 2. Weltkrieg), welche vorbereiten werden einen Kampf über die ganze Erde hin. Entgegenwirken kann diesem ad-absurdum-Führen der menschlichen Entwickelung einzig und allein dasjenige, was die Menschen auf dem Weg zum Geistigen hin führt: der Michaels-Weg, der seine Fortsetzung in dem Christus-Weg findet. [7]

In der Zukunft wird es entweder eine Geisteswissenschaft geben, oder es wird gar keine Wissenschaft geben, sondern nur eine äußere technische Praxis. [8] In Mitteleuropa war durch lange Zeit hindurch der Zug aus dem Süden das Maßgebende, indem die mitteleuropäische Kultur von griechisch-römischem Wesen übergossen worden ist. Das konservative Wesen des Südens kam herüber. Heute (1918) stehen wir an einem Wendepunkt. Ein besonders fortschrittliches Element des Nordens muß die mitteleuropäische Bevölkerung durchdringen. Und dieses Besondere, ich möchte sagen, die für heute günstigen Impulse der Hyperboräerzeit, die müssen durch unsere Seele hindurchgehen. Das ist es, was berücksichtigt werden muß.

Sonst geht, wenn der Mensch nicht die Augen und die Seele öffnet gegenüber diesen großen Impulsen des Menschheitswerdens, die Erde in eine falsche Entwickelungsrichtung, wird nicht Humus für den kosmischen Weltenbau, und dasjenige, was die letzte Entwickelungsepoche der Erde bedeuten sollte, muß von einem anderen Planeten in Anspruch genommen werden. [9] Mitteleuropa wird verkommen, barbarisieren, es wird sein Untergang ihm bereitet werden, wenn es sich vom Geiste nicht beeinflussen läßt. Der Norden, er wird aussterben, er wird den physischen Tod erleiden, wenn er sich vom Geiste nicht beeinflussen läßt. [10] So wie der osteuropäische Mensch von seinem Geistselbst (Manas) aus mit der geistigen Welt, mit den Hierarchien, den Weg hinauf zu den Hierarchien macht, so macht der Westeuropäer den Weg zu den Naturreichen hinunter. [11]

Alles, was die Menschheit zu erleben haben wird in der ferneren Erdenzeit, in der physischen Welt, eine Art Abstieg sein wird, ein Rückgang, eine rückläufige Entwickelung. Diejenige Zeit ist bereits überschritten, in welcher die Menschheit durch die immer veredelter und veredelter auftretenden physischen Kräfte vorwärtskommt. Die Menschheit wird in der nächsten Zeit auch vorwärtskommen, aber nur durch spirituelle Entwickelung, durch eine Entwickelung, welche sich erhebt über die Vorgänge des physischen Planes. Die Vorgänge des physischen Planes werden nicht solche sein, daß die Menschheit, wenn sie sich nur ihnen hingeben will, eine Befriedigung aus ihnen wird schöpfen können. Daß zugesteuert wird dem Krieg aller gegen alle, das sollte vom gegenwärtigen Zeitpunkt an durchaus als etwas sehr, sehr Ernstes und Bedeutsames aufgefaßt werden. Es sollte so aufgefaßt werden, daß es nicht bloß eine theoretische Wahrheit bleibt, sondern daß es auch im Handeln, im ganzen Verhalten der Menschen zum Ausdruck kommt. Gerade der Umstand, daß die Menschen – wenn ich mich trivial ausdrücken soll – von der Entwickelung des physischen Planes in der Zukunft wenig Freude haben werden, wird sie veranlassen, immer mehr und mehr einzusehen, wie die Weiterentwickelungen von den geistigen Kräften kommen müssen. Man wird einsehen, zu welchem Ziele diejenigen Kräfte der Menschheit hinsteuern, die sich da äußern werden in den, ich möchte sagen, wie rhythmisch auftretenden kriegerischen Verheerungsprozessen, von denen die gegenwärtige Kriegskatastrophe (1. Weltkrieg) nur der Anfang ist. [12]

Was in der Zukunft real sein wird, wir tragen es heute in Idealität in uns. Gestalten wir die Welt, dann wird sie real sein. [13] Die Kultur wird immer ungesunder werden, und die Menschen werden immer mehr und mehr aus dem Erziehungsprozeß einen Heilungsprozeß zu machen haben gegen dasjenige, was in der Umgebung krank macht. [14]

Der Darwinismus enthält keine okkulten Wahrheiten; seine Anwendung würde aber schon zu großen Scheußlichkeiten führen: die Anwendung der darwinischen Anschauung in bezug auf das unmittelbare Experimentieren mit Menschen. Wenn aber dazu okkulte Wahrheiten wirklich kommen, wie sie enthüllt werden müssen im Verlauf des 5. nachatlantischen Zeitraums, dann würde man eine ungeheure Macht über Menschen auf diese Weise gewinnen, allerdings nur dadurch, daß man die Passendsten immer auswählt. Aber man würde dadurch, daß man anstrebt eine gewisse okkulte Erfindung, um die Passenden immer passender und passender zu machen – dadurch würde man zu einer ungeheuren Machtausnützung kommen, die gerade entgegengesetzt wirken würde der guten Tendenz des 5. nachatlantischen Zeitraumes. [15]

Wir können sehen, daß sich wirklich die nachatlantische Zeitentwickelung auch vergleichen läßt mit einem einzelnen Menschenleben. Was bleibt dem Menschen schließlich für die zweite Lebenshälfte, als das, was er sich selber in der ersten Hälfte angeeignet hat, zu verarbeiten? Und wenn es aufgezehrt ist, folgt der Tod. Sieger sein über den Tod kann nur der Geist, der in einer neuen Inkarnation das fortentwickelt, was allmählich, wenn wir die Hälfte unseres Lebens überschritten haben, anfängt abzusterben. Wir haben eine aufsteigende Entwickelung bis zu unserem 35. Lebensjahr, dann beginnt eine absteigende Entwickelung. Der Geist aber steigt erst recht auf. Und was er dann in der zweiten Hälfte nicht mehr in die Leiblichkeit hineinentwickeln kann, das kann er in einer nachfolgenden Inkarnation zur Blüte bringen. So sehen wir nach und nach den Körper absterben und den Geist nach und nach zur Blüte kommen. Der Makrokosmos der Menschheit zeigt uns ein ganz ähnliches Bild. Bis zur 4. nachatlantischen Kulturperiode haben wir eine jugendlich aufwärts strebende Kulturentwickelung, von da ab ein richtiges Absterben. Tod überall in bezug auf die Entwickelung des menschlichen Bewußtseins, zu gleicher Zeit aber das Einschlagen eines neuen geistigen Lebens. Das wird sich wieder inkarnieren als geistiges Leben der Menschheit in dem auf den jetzigen Kulturzeitraum folgenden Zeitabschnitt. Da muß der Mensch ganz bewußt an dem arbeiten, was sich wieder inkarnieren soll. Das andere ist dabei abzusterben, richtig abzusterben. Dasjenige unmittelbare Leben, das hineingegossen wird in das menschliche Leben unter dem unmittelbaren Einfluß des Christus-Impulses, das wird in Zukunft so aufleben, wie das atlantische Wissen in den heiligen Rishis aufgelebt war. [16]

Die physische Erde wird ein Leichnam in der Zukunft, und die Menschen stünden vor der furchtbaren Perspektive, sich zu verurteilen dazu, in der Zukunft einen Leichnam zu bewohnen als Seele, wenn sie sich nicht dazu entschließen würden, in die spirituelle Welt sich einzuleben, in der spirituellen Welt Wurzel zu fassen. [17]

(Und) Zeiten werden eintreten in der zukünftigen Erdentwickelung, in welcher die Scheidung wird eintreten müssen zwischen den Kindern des Luzifer und den Kindern des Ahriman, entweder das eine oder das andere. [18] Die luziferischen Geister möchten mit uns dahinstürmen und uns möglichst bald in die kosmische Wesenhaftigkeit hineinführen, und uns nicht erst Jupiter-, Venus-, Vulkanentwickelung durchmachen lassen, bevor wir kosmische Wesen werden. Die ahrimanischen Geister, die möchten unsere Vergangenheit tilgen und uns zurückführen mit der Erde an den Ausgangspunkt, möchten auslöschen unsere Vergangenheit, uns auf der Erde konservieren und dann uns dahin zurückversetzen, wo wir als Saturnwesen waren. Es ist eine rückläufige Bewegung, eine retardierende Bewegung. Aus einer voreiligen und aus einer rückläufigen Bewegung ist das Leben schließlich zusammengesetzt, und der Gleichge-wichtszustand zwischen beiden muß gefunden werden. [19]

Zitate:

[1]  GA 287, Seite 67f   (Ausgabe 1985, 89 Seiten)
[2]  GA 174b, Seite 41   (Ausgabe 1974, 398 Seiten)
[3]  GA 118, Seite 119   (Ausgabe 1977, 234 Seiten)
[4]  GA 96, Seite 119   (Ausgabe 1974, 350 Seiten)
[5]  GA 170, Seite 93   (Ausgabe 1964, 276 Seiten)
[6]  GA 158, Seite 194   (Ausgabe 1993, 234 Seiten)
[7]  GA 194, Seite 63   (Ausgabe 1983, 254 Seiten)
[8]  GA 125, Seite 263   (Ausgabe 1973, 278 Seiten)
[9]  GA 174a, Seite 279   (Ausgabe 1982, 308 Seiten)
[10]  GA 209, Seite 66   (Ausgabe 1982, 200 Seiten)
[11]  GA 176, Seite 208   (Ausgabe 1982, 392 Seiten)
[12]  GA 193, Seite 181f   (Ausgabe 1977, 208 Seiten)
[13]  GA 199, Seite 234   (Ausgabe 1985, 318 Seiten)
[14]  GA 294, Seite 138   (Ausgabe 1966, 202 Seiten)
[15]  GA 178, Seite 213   (Ausgabe 1980, 248 Seiten)
[16]  GA 124, Seite 66f   (Ausgabe 1963, 254 Seiten)
[17]  GA 178, Seite 51   (Ausgabe 1980, 248 Seiten)
[18]  GA 184, Seite 166   (Ausgabe 1968, 334 Seiten)
[19]  GA 184, Seite 172   (Ausgabe 1968, 334 Seiten)

Quellen:

GA 96:  Ursprungsimpulse der Geisteswissenschaft. Christliche Esoterik im Lichte neuer Geist-Erkenntnis (1906/1907)
GA 118:  Das Ereignis der Christus-Erscheinung in der ätherischen Welt (1910)
GA 124:  Exkurse in das Gebiet des Markus-Evangeliums (1910/1911)
GA 125:  Wege und Ziele des geistigen Menschen. Lebensfragen im Lichte der Geisteswissenschaft (1910)
GA 158:  Der Zusammenhang des Menschen mit der elementarischen Welt. Kalewala – Olaf Åsteson – Das russische Volkstum – Die Welt als Ergebnis von Gleichgewichtswirkungen (1912-1914)
GA 170:  Das Rätsel des Menschen. Die geistigen Hintergründe der menschlichen Geschichte (1916)
GA 174a:  Mitteleuropa zwischen Ost und West (1914-1918)
GA 174b:  Die geistigen Hintergründe des Ersten Weltkrieges (1914-1921)
GA 176:  Menschliche und menschheitliche Entwicklungswahrheiten. Das Karma des Materialismus (1917)
GA 178:  Individuelle Geistwesen und ihr Wirken in der Seele des Menschen (1917)
GA 184:  Die Polarität von Dauer und Entwickelung im Menschenleben. Die kosmische Vorgeschichte der Menschheit (1918)
GA 193:  Der innere Aspekt des sozialen Rätsels. Luziferische Vergangenheit und ahrimanische Zukunft (1919)
GA 194:  Die Sendung Michaels. Die Offenbarung der eigentlichen Geheimnisse des Menschenwesens (1919)
GA 199:  Geisteswissenschaft als Erkenntnis der Grundimpulse sozialer Gestaltung (1920)
GA 209:  Nordische und mitteleuropäische Geistimpulse. Das Fest der Erscheinung Christi (1921)
GA 287:  Der Dornacher Bau als Wahrzeichen geschichtlichen Werdens und künstlerischer Umwandlungsimpulse (1914)
GA 294:  Erziehungskunst. Methodisch-Didaktisches (1919)