Zeitgeist

Es verbirgt sich hinter dem Worte «Zeitgeist» eine wirkliche Wesenheit, welche schon auf dem alten Saturn ihre Menschheitsstufe durchmachte, und die heute aus dem geistigen Umkreis der Erde an der Umgestaltung der Erde arbeitet und dabei die letzte Phase sozusagen an der Umgestaltung ihres physischen Leibes

in Geistesmensch oder Atma durchmacht. (Alle) wirken so, daß sie sich abwechseln und gleichsam einer dem andern die Hand reicht. Von Epoche zu Epoche reichen sie sich ihre Aufgabe zu. In jeder Epoche haben wir einen solchen Geist der Epoche; der gibt am Ende der Epoche sein Amt an seinen Nachfolger ab, dieser wiederum an seinen weiteren Nachfolger und so weiter. Die vorangegangenen machen inzwischen ihre eigene Entwickelung durch, dann kommt derjenige, der am längsten nicht daran gewesen ist, wieder an die Reihe, so daß derselbe in einer späteren Epoche, während die anderen dann ihre eigene Entwickelung durchmachen, als Geist der Epoche wiederkommt und für die fortgeschrittene Menschheit das, was er selber für seine höhere Mission erworben hat, intuitierend der Menschheit einflößt. Wegen dieser Eigenschaft dieser Geister der Persönlichkeit (Archai), daß sie gleichsam Kreise beschreiben und wieder zu ihrem Ausgangspunkte zurückkommen, daß sie Zyklen beschreiben, wegen dieser Eigenschaft werden sie auch «Geister der Umlaufszeiten» genannt. Es sind damit gemeint jene Umlaufszeiten, die der Mensch selber durchzumachen hat, indem er von Epoche zu Epoche in gewisser Weise zurückkehrt zu früheren Zuständen und sie in höherer Form wiederholt. [1]

Diese Archai wirken so, daß sie von ihrem eigentlichen Ich aus, von ihrer seelischen Organisation aus, in den physischen Leib hineinarbeiten, daß sie also die Kräfte des physischen Leibes in Bewegung bringen. Wir müssen also voraussetzen, daß, wenn in einer bestimmten Zeit als Ergebnis der Wirkung des Zeitgeistes irgend etwas eintritt, irgend etwas sich innerhalb eines Zeitgeistes offenbart, wodurch die Menschheit einen Fortschritt macht, daß das einer Arbeit mit physischen Kräften innerhalb unseres Erdendaseins entspricht. Sie können das sehr leicht einsehen, Sie brauchen es sich nur zu überlegen, um zu begreifen, wie wirklich physische Voraussetzungen notwendig sind, damit dieses oder jenes im Zeitgeiste entsteht. Oder können Sie sich vorstellen, daß unter anderen Voraussetzungen Kepler oder Kopernikus oder Perikles in einer anderen Zeit gelebt haben könnten? Die Persönlichkeiten wachsen aus ganz bestimmten Zeitverhältnissen heraus, aus denjenigen Verhältnissen, die in einem bestimmten Zeitpunkte durch die physische Arbeit von höheren Wesenheiten konfiguriert und organisiert werden. Da sind es in der Tat die physischen Verhältnisse, freilich physische Verhältnisse, die wir uns nicht als materielle Klötze vorzustellen haben, sondern als gewisse Konfigurationen in der physischen Gemeinsamkeit unserer Erde. Manchmal tritt diese Konfiguration ganz gewaltig hervor; manchmal muß dabei, wenn der Zeitgeist in irgendeiner Weise seinen Einfluß übt, eine ganz bestimmte physische Konstellation zustande kommen. Denken Sie nur daran, daß, als man einmal erst ganz bestimmt geschliffene Gläser hatte, diese durch Kinderspiel in einer Glasschleiferwerkstätte so zusammengefügt wurden, daß man daran bemerken konnte die optische Wirkung als Fernglas, so daß der Erfinder des Fernrohres nur die Beobachtung dieses Gesetzes des Fernrohres zu realisieren brauchte. Diese Sache ist ein historisches Faktum. Denken Sie sich aber, welche physischen Vorgänge notwendig waren, damit das alles hat stattfinden können. Die Linsen mußten erst erfunden, geschliffen und in der entsprechenden Weise (durch die Kinder) zusammengesetzt werden. Sie können da wohl das Wort «Zufall» gebrauchen, aber Sie können es nur anwenden, wenn Sie darauf verzichten, die Gesetzmäßigkeit auch in solchen Geschehnissen zu begreifen. Diese physischen Verhältnisse führen zusammen die Archai, die Urkräfte. Hunderte und Tausende von Fällen könnte man erzählen, wo physisches Geschehen zusammengeführt wird mit menschlichem Denken, woraus man ersehen könnte, wie da intuitiert wird von den Archai das, was als Ideen, als Zeitideen in die Welt hinausgeht, was die Menschen dann in ihrer Entwickelung beeinflußt, was ihren Fortschritt regelt und gesetzmäßig durchdringt. [2]

Aber auch auf diesem Gebiet wirken zusammen die Wesenheiten, die normalerweise während unseres Erdendaseins Geister der Persönlichkeit geworden sind, mit anderen, die dadurch, daß sie auf dem Mond zurückgeblieben sind, jetzt nicht Geister der Form, Exusiai oder Gewalten sind, wie sie auf der Erde sein sollten, sondern auch jetzt erst wirken als Geister der Persönlichkeit. Sie regen nicht von außen an und überlassen es intim dem Menschen selber, das zu beobachten, was im Physischen bewirkt wird, sondern sie regen im Inneren an, sie konfigurieren im Inneren des Gehirns und geben dem Denken eine gewisse Richtung. Daher ist das Denken des Menschen in den verschiedenen Zeiträumen von innen angeregt, so daß jedes Zeitalter eine bestimmte Art des Denkens hat. Da arbeiten die zurückgebliebenen Geister der Form, die den Charakter der Geister der Persönlichkeit haben, im Innern der Menschen und bringen eine gewisse Denkart, eine ganz bestimmte Form der Begriffe hervor. [3] Wenn wir bis zur Begründung von Rom zurückgehen, etwa 800 Jahre vor Christus, dann finden wir, daß da ein bestimmter Zeitgeist mit seiner Entwickelung einsetzte. Vorher war ein anderer Zeitgeist leitend und lenkend die Geschicke der Erde. Und dieser Zeitgeist, der dazumal gewissermaßen als Zeitgeist die Führung der Erde übernommen hatte in ihrer geistigen Entwickelung, war bis ins 16. Jahrhundert hinein führend. So lange führt ein Zeitgeist die Geschicke der Erde. Seit jener Zeit, also seit dem 16. Jahrhundert, ist ein anderer Zeitgeist da. [4]

Wir leben seit der atlantischen Katastrophe, seitdem die nachatlantische Entwickelung begonnen hat, in einem Zeitalter, in dem gewisse Archangeloi, aufsteigen in die Hierarchie der Archai oder der Zeitgeister. Das ist außerordentlich interessant zu beobachten, denn wenn wir betrachten, wie die Volksgeister, die Volksseelen, die wir als Archangeloi bezeichnen, zu einem höheren Rang hinaufsteigen, dann bekommen wir erst eine richtige Vorstellung von dem, wie es in der großen Welt eigentlich hergeht. Diejenige Völkerströmung, deren Archangelos zu allererst emporgestiegen war zum Range eines Zeitgeistes, war diejenige Völkerströmung, die sich zusammenschloß mit der Urbevölkerung Indiens, die Völkerströmung, die das Herrenvolk in Indien bildete und die Grundlage abgab für die erste nachatlantische Kultur, nachdem der Archangelos dieser Volksgemeinschaft zum Zeitgeist, zum ersten Zeitgeist oder Arché der nachatlantischen Kulturperiode erhoben worden war. Nun leitete dieser Zeitgeist die uralt-heilige Kultur Indiens und machte sie zur tonangebenden Kultur in der 1. nachatlantischen Periode. Die anderen Völker Asiens, die sich allmählich heranbildeten, waren lange bloß unter der Leitung von Archangeloi. Nachdem der Zeitgeist Indiens seine Mission erfüllt hatte, wurde er erhoben zu der Leitung der gesamten Evolution der nachatlantischen Menschheit. [5] Der Zeitgeist, der im alten Indien gewirkt hat, war in gewisser Beziehung schon zum Range der Geister der Form emporgestiegen. [6] Alle Wesen sind in einer sich steigernden Entwickelung, und wir leben in dem Zeitalter, wo Michael, der Oberste von der Natur der Archangeloi, übergeht in die Natur der Archai. Er wird allmählich übergehen in eine leitende Stellung, wird eine leitende Wesenheit, wird Zeitgeist, leitende Wesenheit für die ganze Menschheit. [7] Seit dem 16. Jahrhundert ist (also) ein neuer Zeitgeist da, er hat die Aufgabe, zu den früheren Entwickelungsimpulsen das ganze materialistische Können und Verstehen der Welt hinzuzufügen. Daher hat das Materialistische in der Welt so große Fortschritte gemacht seit dem 16. Jahrhundet. [8] Der Zeitgeist ist im wesentlichen in der alleräußersten Empfindungssphäre der Menschen sitzend. Und versteht man das Arbeiten der Archai, dann versteht man auch, wie sich nicht nur die menschlichen Gestalten wandeln, sondern wie sich im Laufe des Erdenseins auch die Zeitgeister wandeln. [9] Die Verirrungen, die der Mensch dem Zeitgeiste gegenüber begeht, stoßen an die kosmischen Ereignisse, und die kosmischen Ereignisse stoßen zurück. Und die Folge davon, daß ins Menschenleben nun kosmische Ereignisse hereingetragen werden, die Anfänge zunächst von kosmischen Ereignissen, ist Dekadenz, die bis zur Dekadenz des physischen Leibes greift, mit anderen Worten: Krankheiten und Sterblichkeit und alles, was damit zusammenhängt. Und es wird sich vielleicht einmal die Menschheit in gar nicht ferner Zeit überzeugen, daß sie allerdings durch manches, was sie auf dem physischen Plane verrichtet, wenn dieses geeignet ist bis zum Zeitgeist hinauf vorzustoßen, hereinbeschwört in die Erdentwickelung zerstörende Kräfte, die in ihren Wirkungen bis zu Krankheit und Tod gehen. Die Zeit ist nicht ferne, wo die Menschen (dann) glauben werden, daß das was Menschen tun, elementare Ereignisse herbeiführen könne, aus dem einfachen Grunde, weil sie es dann sehen werden. [10] Der Zeitgeist unserer 5. nachatlantischen Kulturepoche mußte eine Art Kompromiß eingehen mit einem der alten Zeitgeister, die gewirkt haben vor dem christlichen Impulse, und zwar mit dem ägyptischen Zeitgeiste, der, wie wir gehört haben, in gewisser Beziehung aufgestiegen ist zu dem Range eines Geistes der Form (Exusiai). So kommt es, daß eigentlich unsere Kulturperiode, in der wir stehen, von einem Zeitgeiste beherrscht ist, der in gewisser Weise sehr, sehr dem Einflusse und den Impulsen des Zeitgeistes der alten ägyptischen Kultur unterliegt und der ein sozusagen in seinen allerersten Anfängen begriffenen Geist der Form ist. Das gab die vielen Zersplitterungen und Zerklüftungen unseres Zeitalters. Unser Zeitgeist in der 5. nachatlantischen Kulturperiode strebt dahin, sich in gewisser Beziehung zu spirituellen Höhen zu erheben und die 4. nachatlantische Kulturzeit hinaufzubringen auf eine höhere Stufe. Aber es liegt darin dasjenige, was materialistische Neigung, materialistischer Hang ist, und je nachdem die verschiedenen Archangeloi, die verschiedenen Volksseelen eine mehr oder weniger große Hinneigung zu diesem materialistischen Hang haben, kommt unter der Führung dieses Zeitgeistes der 5. nachatlantischen Periode ein mehr oder weniger materialistisches Volk heraus, das sozusagen dem Zeitgeiste mehr eine Nuance nach dem Materialistischen hin gibt. Ein idealistisches Volk dagegen ist ein solches, welches dem Zeitgeiste mehr eine Nuance nach dem Idealismus hin gibt. Nun bildete sich vom 12. bis 16. Jahrhundert tatsächlich immer mehr etwas heraus, was in gewisser Beziehung neben dem christlichen Zeitgeiste wirkte – der der fortwirkende griechische Zeitgeist ist –, so daß in der Tat, in merkwürdiger Weise, in unsere Kultur einströmt dasjenige, was wir den christlichen Zeitgeist nennen, verbunden mit einem eigentlichen Zeitgeist der 5. nachatlantischen Kulturperiode, und da wirkt wieder hinein das alte Ägyptertum, dessen Zeitgeist sich bis zu einem gewissen Rang der Geister der Form erhoben hat. Nun aber ist es gerade dadurch, daß ein solches Trifolium in unserer ganzen Zeitkultur wirkt, möglich geworden, daß in der 5. Zeitepoche die verschiedensten Nuancen von Kultur- und Volksseelen-Strömungen herauskamen. Es wurde möglich, daß der Zeitgeist die verschiedensten Farben und Nuancen in seinem Wirken aufwies. [11]

Zitate:

[1]  GA 121, Seite 29ff   (Ausgabe 1982, 214 Seiten)
[2]  GA 121, Seite 44f   (Ausgabe 1982, 214 Seiten)
[3]  GA 121, Seite 45f   (Ausgabe 1982, 214 Seiten)
[4]  GA 159, Seite 208   (Ausgabe 1980, 388 Seiten)
[5]  GA 121, Seite 120ff   (Ausgabe 1982, 214 Seiten)
[6]  GA 121, Seite 126   (Ausgabe 1982, 214 Seiten)
[7]  GA 152, Seite 60   (Ausgabe 1980, 176 Seiten)
[8]  GA 159, Seite 213   (Ausgabe 1980, 388 Seiten)
[9]  GA 205, Seite 230   (Ausgabe 1967, 247 Seiten)
[10]  GA 172, Seite 185   (Ausgabe 1964, 240 Seiten)
[11]  GA 121, Seite 130f   (Ausgabe 1982, 214 Seiten)

Quellen:

GA 121:  Die Mission einzelner Volksseelen im Zusammenhang mit der germanisch-nordischen Mythologie (1910)
GA 152:  Vorstufen zum Mysterium von Golgatha (1913/1914)
GA 159:  Das Geheimnis des Todes. Wesen und Bedeutung Mitteleuropas und die europäischen Volksgeister (1915)
GA 172:  Das Karma des Berufes des Menschen in Anknüpfung an Goethes Leben (1916)
GA 205:  Menschenwerden, Weltenseele und Weltengeist – Erster Teil:. Der Mensch als leiblich-seelische Wesenheit in seinem Verhältnis zur Welt (1921)