Zarathustras Lehre

Wenn wir außerhalb unseres physischen Leibes sind in der Nacht, dann ist unser astralischer Leib durchlebt und durchwebt von den Sphärenharmonien, von dem, was sonst sich nur im Äther, im Klangäther verbreiten kann. [1] Zarathustra hat seine Schüler folgendes gelehrt: Wenn ihr hinaufschaut zur Sonne, so nehmt ihr die wohltätige Wärme wahr und das wohltätige Licht, das der Erde zustrahlt; wenn ihr aber höhere Organe entwickelt, wenn ihr geistiges Wahrnehmen entwickelt, so könnt ihr das Sonnenwesen wahrnehmen, das hinter dem physischen Sonnenleben ist; und dann nehmt ihr wahr Klangeswirkungen und in den Klangeswirkungen Lebenssinn! – Was so als Geistiges hinter den physischen Sonnenwirkungen als Nächstes wahrzunehmen war, das bezeichnete Zarathustra für seine Schüler als Ormuzd, als Ahura Mazdao, als die große Aura der Sonne. [2]

Buddha sagt: Im Zurückschreiten – Zarathustra sagt: Im Vorwärtsschreiten wird die Seele den Gott finden. Ob man den Gott sucht im Alpha oder im Omega: man findet ihn. Aber mit erhöhten menschlichen Kräften sollen die Menschen ihn finden. Diejenigen Kräfte, die nötig sind, den Gott des Alpha zu finden, sind die Urkräfte des Menschen. Die Kräfte aber, die nötig sind, den Gott des Omega zu finden, die muß sich der Mensch selber erringen auf der Erde. Es ist nicht einerlei, ob man zurück zum Alpha oder vorwärts zum Omega geht. Wer nur den Gott finden will, nur hineinkommen will in die geistige Welt, der mag vorwärts- oder rückwärts gehen, aber wem daran liegt, daß die Menschheit die Erde in einem erhöhten Zustande verlasse, der muß den Weg zum Omega weisen. Das tat Zarathustra. Er bahnte den Weg für jene Menschheit, die Hand anlegen sollte an die Kräfte der Erde selber. [3]

Während also die Inder mystisch in ihr Inneres hineinblickten, um so zu Brahman, zu dem Ewigen zu kommen, das wie in einem Punkte aus dem Inneren des Menschen herausleuchtet, wies Zarathustra seine Schüler hin auf die große Peripherie des Daseins und zeigte, wie in dem Sonnenleib der große Geist der Sonne, Ahura Mazdao, der Geist des Lichtes vorhanden ist. Und wie im Menschen sein eigentlicher Geistesmensch hinaufstrebt zur Vervollkommnung, aber gegen sich die niederen Leidenschaften und Begierden hat, die Möglichkeit, den Trugbildern der Lüge und Unwahrheit ausgesetzt zu sein, – wie der Mensch so den Gegner der eigenen Vervollkommnungsimpulse in sich hat, so hat Ahura Mazdao sich gegenüber den Gegner, den Geist der Finsternis: Angro-Mainyush, Ahriman. [4]

Es ist nun sehr schwierig, einen Begriff davon hervorzurufen, was Zarathustra als das Einheitliche hinter Ormuzd und Ahriman ansah, von dem uns schon die griechischen Schriftsteller sagten, daß die alten Perser es als das in Einheitlichkeit Lebende verehrten, und was Zarathustra nannte «Zeruane akarene», das ist, was hinter dem Licht steht. Wodurch können wir uns einen Begriff für das schaffen, was Zarathustra und die Zarathustra-Lehre unter Zeruana akarene oder Zaruana akanana versteht? Denken wir uns einmal den Verlauf der Entwickelung. Wir müssen uns vorstellen, daß die Entwickelung gegen die Zukunft hin so verläuft, daß die Wesen immer vollkommener und vollkommener werden, so daß wir, wenn wir in die Zukunft blicken, immer mehr und mehr den Schein des Lichtreiches, des Ormuzd, sehen. Wenn wir in die Vergangenheit den Blick richten, sehen wir, wie da die Kräfte liegen, welche mit der Zeit völlig aufhören müssen, die besiegt werden müssen, so daß wir da in die dem Ormuzd gegnerischen Kräfte, in die ahrimanischen Kräfte hereinblicken. Nun hat man sich vorzustellen, daß dieser Blick sowohl in die Zukunft wie in die Vergangenheit zu demselben Punkte führt. Und dieser sich selbst findenden Schlange der Ewigkeit – die dargestellt werden kann durch die Schlange, die sich selbst in ihren Schwanz beißt – ist sowohl die Kraft des Lichtes einverwoben, die uns immer heller und heller leuchtet, wenn wir nach der einen Seite blicken, wie auch die Kraft der Finsternis, die uns nach der andern Seite immer dunkler und dunkler scheint. Und wenn wir selbst mitten drinnen stehen, haben wir selbst Licht und Schatten Ormuzd und Ahriman durcheinandergemischt. Alles ist einverwoben dem sich selbst findenden, unendlichen Strome der Zeit: Zeruane akarene. [5]

Da war es wichtig, daß Zarathustra darauf hinweisen konnte: Es ist der Tierkreis, der Zodiakus, eine in sich selbst zurückkehrende Linie, ein Ausdruck für die in sich selbst zurückkehrende Zeit. Im Grunde genommen sind «Zeruana akarene» und «Zodiakus» dasselbe. Derjenige Teil des Tierkreises also, den Ormuzd während des Tages oder während des Sommers durchläuft, zeigt uns, wie Ormuzd unbehindert von Ahriman wirkt; diejenigen Tierkreisbilder dagegen, die unter dem Horizont liegen, symbolisieren das Reich des Schattens, das sozusagen Ahriman durchläuft. Während Ormuzd die ganze Tätigkeit des Lichtreiches hat, haben die Amshaspands die Spezialtätigkeiten, die ausgedrückt werden durch das Herleuchten der Sonne aus dem Widder, aus dem Stier, dem Krebs und so weiter. Ahriman wirkt gleichsam wie durch die Erde hindurch aus dem Finsteren und hat da seine Diener, seine Amshaspands. [6]

Zitate:

[1]  GA 123, Seite 63   (Ausgabe 1959, 264 Seiten)
[2]  GA 123, Seite 67   (Ausgabe 1959, 264 Seiten)
[3]  GA 109, Seite 138   (Ausgabe 1979, 304 Seiten)
[4]  GA 60, Seite 265f   (Ausgabe 1983, 496 Seiten)
[5]  GA 60, Seite 268ff   (Ausgabe 1983, 496 Seiten)
[6]  GA 60, Seite 271f   (Ausgabe 1983, 496 Seiten)

Quellen:

GA 60:  Antworten der Geisteswissenschaft auf die großen Fragen des Daseins (1910/1911)
GA 109:  Das Prinzip der spirituellen Ökonomie im Zusammenhang mit Wiederverkörperungsfragen. Ein Aspekt der geistigen Führung der Menschheit (1909)
GA 123:  Das Matthäus-Evangelium (1910)