Unbewußtes

Der Mensch, der ein wenig tiefer in sein Wesen eindringt, bemerkt bald, daß eigentlich alles Vorstellungsleben, das sich im Bewußtsein abspielt, namentlich das, was er vom Momente des Aufwachens bis zum Momente des Einschlafens beherrscht, – etwas wie die auf der Oberfläche des Meeres sich kräuselnden Wellen ist, die aber die Kraft ihres Emporstrebens, selbst die Art und Weise, wie sie ihr Spiel treiben, auf für das gewöhnliche Wahrnehmen unbekannte Tiefen zunächst zurückführen müssen. [1]

Astral-, Äther- und physischer Leib sind mit Kräften durchsetzt von den Wesenheiten der höheren Hierarchien. Das aber hindert nicht, daß diese heraufspielen in das bewußte Ich, daß aus den verborgenen Tiefen des Menschenwesens die Kräfte zufließen, heraufspielen in das bewußte Ich. [2] Die Erkenntnis, welche hier als imaginative, inspirierte und intuitive Erkenntnis geschildert worden ist, hat nun aber die Aufgabe, einzudringen in dieses unbestimmte Reservoir, das als «Unbewußtes» (auch) in der neueren Wissenschaft so vielfach figuriert. [3]

Die schlimmsten Unwahrheiten pulsieren sehr häufig gerade im Menschenleben als unterbewußte Kräfte, greifen gar nicht herauf in das menschliche Bewußtsein. Aber kennenlernen muß man gerade in der Gegenwart diese unterbewußten Kräfte, heraufholen muß man sie in das Bewußtsein. [4]

Für die geistige Wahrnehmung ist es eigentlich so, daß wir sagen können: Der Mensch lebt zwischen dem Tod und einer neuen Geburt in der geistigen Welt. Dann (im physischen Leben) guckt er herauf mit seinem Kopf in sein Physisches, aber mit dem Hauptteil bleibt er immer noch in der geistigen Welt, auch zwischen Geburt und dem Tode. Und es ist gut für uns, daß wir dadrinnen schwimmen bleiben, denn wir hätten sonst keine Erinnerungen. Das, was uns die geistige Welt gibt, macht sie uns möglich. [5] In den unbewußten Empfindungen und Gefühlen, vor allen Dingen in jenen Impulsen, die dem Willen zugrundeliegen, trägt der Mensch eine unbewußte Erkenntnis des anderen, der ihm im Leben begegnet. Diese Menschenerkenntnis hat allerdings in der neueren Zeit vielfach gelitten, und unsere sozialen Schäden beruhen darauf, daß sie gelitten hat. [6]

Zitate:

[1]  GA 61, Seite 127   (Ausgabe 1962, 536 Seiten)
[2]  GA 143, Seite 51f   (Ausgabe 1970, 248 Seiten)
[3]  GA 215, Seite 79   (Ausgabe 1980, 188 Seiten)
[4]  GA 185a, Seite 89   (Ausgabe 1963, 237 Seiten)
[5]  GA 214, Seite 76   (Ausgabe 1980, 208 Seiten)
[6]  GA 308, Seite 10   (Ausgabe 1974, 96 Seiten)

Quellen:

GA 61:  Menschengeschichte im Lichte der Geistesforschung (1911/1912)
GA 143:  Erfahrungen des Übersinnlichen. Die drei Wege der Seele zu Christus. (1912)
GA 185a:  Entwicklungsgeschichtliche Unterlagen zur Bildung eines sozialen Urteils (1918)
GA 214:  Das Geheimnis der Trinität. Der Mensch und sein Verhältnis zur Geistwelt im Wandel der Zeiten (1922)
GA 215:  Die Philosophie, Kosmologie und Religion in der Anthroposophie (1922)
GA 308:  Die Methodik des Lehrens und die Lebensbedingungen des Erziehens (1924)