Tier und Mensch

In dem astralischen Leibe ersteht die tierische Gestaltung nach außen als ganze Gestalt und nach innen als Gestaltung der Organe. Und die empfindende tierische Substanz ist ein Ergebnis dieses gestaltenden astralischen Leibes. Wird diese Gestaltung bis zu ihrem Ende geführt, so bildet sich das Tierische. Beim Menschen wird sie nicht zu Ende geführt. Sie wird in einem gewissen Punkte ihres Weges aufgehalten, gehemmt. [1]

Glauben Sie nicht, daß ich ein Kritiker der gegenwärtigen Wissenschaft irgendwie sein möchte; ich erkenne diese Wissenschaft mit allen ihren Verdiensten voll an und möchte, daß gerade unsere Anschauung voll auf dieser Wissenschaft fußt. Aber man muß sich schon klar werden, daß diese Wissenschaft heute durchaus noch nicht die Möglichkeit hat, exakt in die Menschennatur hineinzuschauen. Würde sie dies können, dann würde sie nicht in der Art, wie sie es heute macht, die tierische Organisation so nahe an die menschliche heranbringen; denn die tierische liegt gerade in Bezug auf das Sinnesleben um ein Niveau tiefer als die menschliche Organisation. Die menschliche Nerven-Sinnesorganisation ist in die Ich-Organisation eingespannt; die tierische ist nur in den astralischen Leib eingespannt. Das Sinnesleben des Menschen ist ein ganz anderes als das des Tieres. Wenn das Tier irgendwie durch sein Auge etwas wahrnimmt – Sie können das an einem genaueren Studium der Struktur des Auges erkennen –, so geht im Tiere etwas vor, was sozusagen durch den ganzen Leib des Tieres geht; es spielt sich das nicht so ab wie beim Menschen. Beim Menschen bleibt die Sinneswahrnehmung viel peripherischer, viel mehr an der Oberfläche konzentriert. Das können Sie daraus entnehmen, daß im Tiere feine Organisationen vorhanden sind, die bei höheren Tieren meist nur im Ätherischen da sind. Bei gewissen niederen Tieren aber finden Sie zum Beispiel den Schwertfortsatz, den aber ätherisch auch höhere Tiere haben, oder Sie finden den Fächer im Auge. Das sind Organe, die in der Art, wie sie vom Blut durchdrungen sind, zeigen, daß das Auge an der Gesamtorganisation des Tieres teilnimmt und ein Leben im Umkreis der Umwelt vermittelt. Beim Menschen dagegen sehen wir, wie er mit seiner Nerven-Sinnesorganisation ganz anders zusammenhängt und daher auch in einem viel höheren Sinne als das Tier mit der seinigen der Außenwelt lebt während das Tier mehr in sich lebt. Aber alles, was so, durch die höheren geistigen Glieder des Menschen vermittelt, sich auslebt durch die Ich-Organisation als Nerven-Sinnesleben, das braucht ja, weil es im Bereiche des physischen Leibes vorhanden ist, seine Einflüsse, auch seine stofflichen Einflüsse von der Sinneswelt, [2]

Der Mensch hat die Anlagen, die heute das Tier in äußerer Geschicklichkeit auslebt, verwendet zu etwas anderem als das Tier. Die Tiere prägen sie in äußeren Geschicklichkeiten aus. Der Mensch hat dieselben Kräfte, welche die Tiere in dieser Art ausleben, in sich selber hineingetan und verwendet. Und er hat dadurch zustande gebracht, was wir seine höhere menschliche Organisation nennen. Daß der Mensch heute seinen Gang aufrecht hat, daß er das vollkommenere Gehirn, überhaupt eine vollkommenere innere Organisation hat, das bedurfte auch gewisser Kräfte; und das sind dieselben Kräfte, mit denen sich der Biber beispielsweise seinen Biberbau errichtet. Nur dadurch, daß der Mensch sich die innere Organisation verschaffen konnte, konnte er der Träger dessen werden, was heute das Ich ist, was von Inkarnation zu Inkarnation schreitet. Eine andere Organisation hätte kein solcher Ich-Träger werden können; denn es hängt durchaus von dem äußeren Gehäuse ab, ob eine Ich-Individualität sich im Erdendasein betätigen kann oder nicht. [3]

Hätten wir bei dem Bau der unmittelbar unter dem Menschen stehenden Wesenheiten stehenbleiben müssen, so müßten wir jetzt mit unserem Ich die Erde umschweben, weil die Organisationen zu steif geworden sind. Wir könnten nicht herunter, und obwohl wir vollkommenere Wesen geworden sind, müßten wir da sein, wo die Organisationen der Gattungsseelen der Tiere sind. Da aber unsere Organisationen sich verfeinern konnten, so konnten wir in sie einziehen und sie als unsere Wohnplätze benutzen, das heißt, wir konnten in fleischliche Verkörperungen bis zur Erde heruntersteigen. Die Gattungsseelen hatten kein Bedürfnis danach. Sie wirken von der geistigen Welt in die Wesen hinein. Wir sehen also in dem Tierreich, das uns umgibt, etwas, was wir heute auch wären, wenn wir eben nicht unsere Organisation der geschilderten Einrichtung verdankten.

Fragen wir uns jetzt: Wodurch sind denn die unter uns stehenden Tiere mit ihren versteiften Organisationen auf die Erde gekommen? Durch uns selber sind sie heruntergekommen! Sie sind die Nachkommen jener Körper, die wir nach dem Mondenaustritt nicht mehr beziehen wollten, weil sie zu grob geworden waren. Wir haben diese Körper zurückgelassen, um später andere zu finden. Um höher zu kommen mußten wir zu anderen Planeten gehen und die Leiber da unten verkommen lassen. Was unten zurückgeblieben ist, dem verdanken wir in gewisser Beziehung das, was wir sind. Die luziferischen Wesenheiten waren unsere Führer, die uns in der kritischen Periode von der Erdentwickelung hinweggenommen haben. Die luziferischen Geister waren es, unter deren Führung wir die Erde verlassen haben, dieselben luziferischen Geister, die in unseren damaligen astralischen Leib das luziferische Prinzip, den Hang zu allem, was wir die Möglichkeit des Bösen in uns nennen, hineinbrachten, damit zugleich aber allerdings auch die Möglichkeit der Freiheit. Hätten sie uns damals nicht fortgenommen von der Erde, so wären wir immer gekettet geblieben an die Gestalt, die wir damals geschaffen hatten, und wir könnten jetzt die Gestalt höchstens von oben umschweben, würden sie aber niemals beziehen können. Wenn wir das ins Auge fassen, wird es uns jetzt verständlich, daß wir, während wir fortgingen, die luziferischen Einflüsse aufnahmen. Die Organisationen, welche dieses Schicksal nicht teilten, damals in ganz besondere Weltgebiete geführt zu werden, die mit der Erde verbunden blieben, die blieben unten ohne den luziferischen Einfluß. Sie mußten mit uns die Erdenschicksale teilen – konnten aber nicht mit uns unser Himmelsschicksal teilen. Und als wir auf die Erde zurückkamen, hatten wir den luziferischen Einschlag in uns, nicht aber jene anderen Wesen, und dadurch wurde es uns möglich, das Leben in einem physischen Körper und doch ein von dem physischen Körper unabhängiges Leben zu führen, so daß wir auch immer mehr und mehr unabhängig von dem physischen Körper werden konnten. Diese anderen Wesen aber, die den luziferischen Einschlag nicht in sich hatten, stellten dar, was wir aus ihnen gemacht hatten, was unsere astralischen Leiber waren in der Zwischenzeit zwischen Sonnen- und Mondenaustritt (siehe: Erdentwickelung), also dasjenige, von dem wir uns befreiten. Wir schauen auf die Tiere und sagen: Alles, was die Tiere darstellen an Grausamkeit, an Gefräßigkeit, an allen tierischen Untugenden, neben der Geschicklichkeit, die sie haben, das hätten wir in uns, wenn wir sie nicht hätten aus uns heraussetzen können. Wir verdanken die Befreiung unseres astralischen Leibes dem Umstande, daß alle gröberen astralischen Eigenschaften zurückgeblieben sind im Tierreich der Erde. [4]

Besonders grotesk – werden die Menschen der Zukunft sagen – ist es, zu sehen, wie die Menschen des 19. und 20. Jahrhundert ihren Stammbaum zu affenähnlichen Wesen hinaufführen; denn Affen hat es dazumal in der lemurischen Zeit in der Gestalt, wie sie später die Erde betraten, überhaupt noch gar nicht gegeben, diese entstanden erst aus heruntergekommenen und abgefallenen Menschengestalten in viel späterer Zeit. Erst um die Mitte der atlantischen Zeit sind überhaupt in der Erdenevolution für den rückschauenden Blick solche tierische Wesenheiten aufzufinden, welche man vergleichen kann den heute lebenden Affen. [5]

Nun hängt zusammen mit dem, daß wir die Tierheit herausgesetzt haben in unserer Entwickelung, die Möglichkeit, daß wir tatsächlich in unserem Organismus entwickeln originäres Licht. Wir sind tatsächlich im oberen Menschen originäre Lichterzeuger, im Gegensatz zum unteren Menschen, wo wir, um uns diese Fähigkeit der originären Lichterzeugung anzueignen, die nötigen Abwehrorgane für das vollständige Tierwerden haben. Das ist einer der tiefliegenden Unterschiede des Menschen von der Tierheit. Während die Tierheit die anderen höheren geistigen Prozesse für sich mit dem Menschen gleich hat, haben die Tiere nicht die Fähigkeit, im Innern ausreichend Licht zu erzeugen. [6]

Dadurch unterscheidet sich der Mensch in Wirklichkeit von dem Tiere, daß die Sinne von dem Willen durchflossen werden. Beim Tiere werden sie von einem tieferen Elemente durchflossen; daher auch der innigere Zusammenhang der Organisation der Sinne mit dem Gesamtorganismus. [7] Wir glauben, weil wir Menschen die Fähigkeit entwickeln müssen, abstrakte Begriffe zu bilden, so unterscheiden wir uns durch die abstrakten Begriffe vom Tiere, das diese Fähigkeit nicht besitzt. Aber das Tier braucht diese Fähigkeit gar nicht, weil es die abstrakten Begriffe von vornherein hat. [8] In dem Zeitalter der Bewußtseinsseelen-entwickelung ist das Charakteristische für den Menschen gerade das, daß er die Fähigkeit, abstrakte Begriffe auszubilden, ganz besonders stark entwickeln kann. Wohin kommt er dadurch? Er kommt gerade dadurch in die Tierheit zurück! Und das erklärt ungeheuer vieles. Das erklärt Ihnen, warum auch der Hang des Menschen, sich möglichst dem Tiere zu nähern, gerade dadurch entsteht, daß man in die Abstraktionen der Begriffe hineinkommt. Das erklärt Ihnen aber auch etwas, was vielfach in der Lebenspraxis und Lebensführung heute auftritt. Die Wissenschaften werden immer abstrakter und abstrakter, und im sozialen Leben kommt der Mensch immer mehr dazu, so leben zu wollen, wie eigentlich das liebe Vieh lebt, nämlich nur für die alleralltäglichsten Hunger- und sonstigen Bedürfnisse zu sorgen. Den inneren Zusammenhang zwischen Abstraktions-vermögen und Tierheit, den zeigt die Geisteswissenschaft auf. Diesen inneren Zusammenhang, den macht der Mensch unter allen Umständen als Erlebnis im Zeitalter der Bewußtseinsseelenentwickelung durch. Es machen zahlreiche Menschen das (unbewußt) durch, was in den Tiefen ihrer Seelen ihnen sagt: Du wirst ja dem Tiere immer ähnlicher; gerade indem du vorwärtskommst, wirst du immer mehr dem Tiere ähnlich. – Das ist der Schreck, den die Menschen bekommen vor dem Vorschreiten auf der Bahn. Das ist auch, was die Menschen veranlaßt, so gerne bei alten Begriffen konservativ zu verweilen. Dasjenige, was wir verlieren, indem wir in die Abstraktion hineinschreiten, das müssen wir dadurch paralysieren, daß wir unsere abstrakten Spiegelbilder mit Geistigem ausfüllen, daß wir das Geistige aufnehmen in die Abstraktion hinein. [9]

Das Fürchten ist dem Tiere ganz eigen aus dem Grunde, weil das Tier in hohem Maße die Fähigkeit der Abstraktion hat, die abstrakten Begriffe. In denen lebt das Tier. Die Welt, die Sie sich erwerben, wenn Sie lange studieren, wenn Sie lange abstrahiert haben, das ist die Welt, in der das Tier lebt; und die Welt, in welcher der Mensch hier auf der Erde durch seine Sinne lebt, die ist dem Tier, trotzdem das Tier Sinne hat, viel unbekannter als dem Menschen, und vor dem Unbekannten fürchtet man sich. [10]

Zitate:

[1]  GA 27, Seite 35   (Ausgabe 1984, 142 Seiten)
[2]  GA 319, Seite 171   (Ausgabe 1982, 256 Seiten)
[3]  GA 120, Seite 40f   (Ausgabe 1975, 230 Seiten)
[4]  GA 120, Seite 50ff   (Ausgabe 1975, 230 Seiten)
[5]  GA 145, Seite 156   (Ausgabe 1976, 188 Seiten)
[6]  GA 312, Seite 216   (Ausgabe 1976, 392 Seiten)
[7]  GA 188, Seite 25   (Ausgabe 1982, 262 Seiten)
[8]  GA 188, Seite 20   (Ausgabe 1982, 262 Seiten)
[9]  GA 188, Seite 26f   (Ausgabe 1982, 262 Seiten)
[10]  GA 188, Seite 30   (Ausgabe 1982, 262 Seiten)

Quellen:

GA 27:  Grundlegendes für eine Erweiterung der Heilkunst nach geisteswissenschaftlichen Erkenntnissen. Von Dr. Rudolf Steiner und Dr. Ita Wegman (1925)
GA 120:  Die Offenbarungen des Karma (1910)
GA 145:  Welche Bedeutung hat die okkulte Entwicklung des Menschen für seine Hüllen (physischer Leib, Ätherleib, Astralleib) und sein Selbst? (1913)
GA 188:  Der Goetheanismus, ein Umwandlungsimpuls und Auferstehungsgedanke. Menschenwissenschaft und Sozialwissenschaft (1919)
GA 312:  Geisteswissenschaft und Medizin (1920)
GA 319:  Anthroposophische Menschenerkenntnis und Medizin (1923/1924)