Tempelritter

Was im Dienste der Wiedererringung der Macht über das Heilige Grab damals getan werden sollte, mit dem sollte in Übereinstimmung stehen das, was im Bewußtsein der Tempelritterseelen lebte. Dadurch entwickelte sich ein besonderes mystisches Leben, durch das diejenigen, die diesem sogenannten geistlichen Orden angehörten, immer mehr für die Welt wirken konnten als andere geistliche Orden. Denn wenn in solcher Weise eben im Zusammenhange mit dem Leben der Umwelt mystisch gelebt wird, dann strömt das, was mystisch erlebt wird, in die unsichtbaren, in die übersinnlichen Kräfte der Umwelt des Menschen hinein, wird objektiv, ist dann nicht bloß innerlich in der Seele des Menschen, sondern wirkt im geschichtlichen, im historischen Werden weiter. Dadurch aber, daß dieses geschah, wurde die Menschheit wirklich eine Etappe weitergebracht in ihrer Entwickelung. [1]

Man empfindet schon in einer gewissen Weise, sogar bevor dieses 5. nachatlantische Zeitalter beginnt, das Herannahen des Zeitalters der Bewußtseinsseele. Wie in einem Vorausahnen empfinden es gewisse Naturen, sie empfinden: Es kommt das Zeitalter, in dem die Persönlichkeit sich emanzipieren soll, das aber in einer gewissen Beziehung zunächst unproduktiv sein wird, nicht selbst wird hervorbringen können, das mit Bezug gerade auf die geistige Produktion, die ins soziale und geschichtliche Leben übergehen soll, vom Althergebrachten wird leben müssen. Das ist ja der tiefere Impuls für die Kreuzzüge, die dem Zeitalter des Bewußtseinsmenschen vorangegangen sind. Warum streben die Leute hinüber nach dem Oriente, nach dem Heiligen Grabe? Weil sie nicht streben können und nicht streben wollen nach einer neuen Mission, nach einer neuen ursprünglichen speziellen Idee im Bewußtseinszeitalter. Sie streben danach, das Althergebrachte in seiner wahren Gestalt, in seiner wahren Substanz sogar, zu finden: Hin nach Jerusalem, um das Alte zu finden und es auf eine andere Weise in die Entwickelung hereinzustellen, als es Rom hereingestellt hat. Im Zusammenhang mit den Kreuzzügen entsteht der Tempelherrenorden. Und mit dem Tempelherrenorden kommen nach Europa die Geheimnisse des orientalischen Wesens, und sie werden eingeimpft der europäischen Geisteskultur. Der König von Frankreich, Philipp der Schöne, konnte zwar die Tempelritter hinrichten lassen, konnte ihr Geld konfiszieren, aber die Impulse der Tempelritter waren durch zahlreiche Kanäle in das europäische Leben hineingeflossen und wirkten weiter fort, wirkten fort durch zahlreiche okkulte Logen, die dann wiederum ins Exoterische hinausgingen, und die im wesentlichen so charakterisiert werden können, daß man sagen kann, sie bildeten nach und nach die Opposition gegenüber Rom. [2] Jerusalem sollte der Mittelpunkt werden und von dort aus das Geheimnis über das Verhältnis des Menschen zu Christus in alle Welt strömen. Was als Symbol in dem Tempel dargestellt war, sollte eine lebendige Wirklichkeit werden. Von den Templern wurde gesagt, und man machte es ihnen zum Vorwurf, daß sie einen gewissen Sternendienst, ebenso einen Sonnendienst errichtet hätten. [3]

Fünf französische Ritter unter der Führung des Hugo de Payens tun sich zusammen und begründen an der geheiligt gehaltenen Stätte, auf der sich das Mysterium von Golgatha vollzogen hat, einen Orden, der sich ganz weihen soll dem Dienste des Mysteriums von Golgatha, und der sein erstes wichtigstes Ordenshaus unmittelbar neben der Stätte hat, wo einst der salomonische Tempel gestanden hat, so daß gewissermaßen zusammenwirken konnte an dieser Stätte uraltheilige, für das Christentum vorbereitende Weisheit, die salomonische Weisheit, mit allen Empfindungen und allen Gefühlen, die in höchstem Maße aus der heiligsten Begeisterung für das Mysterium von Golgatha und seinen Träger entstanden sind. Neben den gewöhnlichen, damals üblichen Mönchsgelübden, der Pflicht des Gehorsams gegenüber den geistlichen Oberen, verpflichteten sich die ersten Tempelherren, in intensivster Weise mitzuwirken dazu, hereinzubeziehen in den Bereich europäischer Machtentfaltung die Stätten, auf denen sich das Mysterium von Golgatha vollzogen hat. Eine große, gewaltige Aufgabe, weniger dem Nachdenken als dem tiefen Empfinden, war gestellt, eine Aufgabe, die dahin ging, das Seelenleben als individuelles, als persönliches nur deshalb zu stärken, damit dieses einzelne Seelenleben ganz aufgehen könne in dem fortlaufenden Strom der christlichen Entwickelung. Das war gewissermaßen der Stern, der den Tempelrittern bei allem, was sie dachten, fühlten, unternahmen, voranleuchten sollte. Damit war ein Impuls in Seelen gegeben, welcher in seiner weiteren Wirksamkeit bei der weiteren Ausdehnung des Templerordens von Jerusalem aus über die europäischen Länder zu einer gewissen Durchgeistigung, Durchchristung des europäischen Lebens hätte führen sollen. Begreiflich kann es erscheinen bei dem schier unermeßlich großen Eifer, der in diesen Tempelherrenseelen bestand, daß diejenigen Mächte, welche die Entwickelung zurückzuhalten, sie so zu lenken haben, daß die Seelen der Menschen von der Erde abgelenkt werden, erdenfremd werden, gewissermaßen geführt werden zu einem besonderen Planeten, damit die Erde entvölkert werde, daß die Mächte, die dieses wollten, ganz besonders sich heranmachen wollten an die Seelen, die also empfanden und fühlten wie die Tempelritter. Und immer ist ja die Gefahr vorhanden, daß die Seelen erdenfremd und erdenmüde werden, und daß die Menschheit auf der Erde mechanisiert werde. [4]

Da haben wir auf der einen Seite gewaltig aufstrebendes geistiges Leben, von dem wir voraussetzen dürfen, daß die luziferische Versuchung ihm nahestehen kann, weil da ein guter Anhaltspunkt ist für die luziferische Versuchung. Dann haben wir aber in derselben Zeit, in welcher der Tempelherrenorden rasch sich ausbreitete über die verschiedenen christlichen Länder Europas, im Westen Europas die Möglichkeit scharfen Einsetzens ahrimanischer Mächte. Denn in der Zeit, in welcher der Templerorden durch seine Tätigkeit zu großem Ansehen und auch zu großem Reichtum – als Orden, nicht als einzelne Templer – gekommen war und sich ausgebreitet hatte auch über den Westen Europas, in dieser Zeit des ausgehenden 13., des beginnenden 14. Jahrhunderts, da haben wir im Westen herrschend einen Mann, eine menschliche Persönlichkeit, welche, man kann geradezu sagen, in der Seele eine Art Begeisterung empfand durch die moralische Macht oder respektive unmoralische Macht des Goldes; eine Persönlichkeit, die geradezu in einseitiger Weise die Vermaterialisierung der Weisheit aus dem Golde heraus zu ihrer Inspiration bilden konnte. Eine hochbegabte, mit außerordentlicher, mit höchster Klugheit ausgestattete Persönlichkeit ist zugänglich dieser Inspiration durch das Gold mit geradezu ärgster ahrimanischer Weisheit. Philipp IV. der Schöne kann geradezu ein genial-habsüchtiger Mensch genannt werden, ein Mensch, der den instinktiven Drang in sich verspürte, nichts anderes anzuerkennen in der Welt als das, was mit Gold aufgewogen werden kann, und niemandem wollte Philipp der Schöne eine Macht über das Gold zugestehen als nur allein sich selber. Als er einen letzten Versuch machte, möglichst wenig Gold und Silber den Münzen beizumischen, er sich, durch eine Volksempörung veranlaßt, in die Tempelstätte der Templer flüchten mußte. Da hatte er bei den Templern, durch seine Gewaltmaßregeln (und deren Folgen) dazu veranlaßt, seinen Schatz, seinen Goldschatz verbergen lassen. Er war erstaunt, wie schnell die Templer den Volksaufruhr beruhigen konnten. Aber er war zu gleicher Zeit von Furcht erfüllt, weil er gesehen hatte, wie groß die moralische Macht der Templer über das Volk war, und wie wenig er, der nur vom Golde inspiriert war, vermochte gegenüber der moralischen Macht der Templer, die dazumal auch schon reiche Schätze hatten, die ungeheuer reich waren, aber nach ihrer Ordensregel allen Reichtum ihres Ordens in den Dienst geistigen Wirkens, geistigen Schaffens stellen mußten. Wenn eine Leidenschaft so stark wird, wie bei Philipp dem Schönen die Gold- und Silbergier war, dann preßt sie in der menschlichen Seele starke Kräfte aus, Kräfte, die einen starken Einfluß haben auf die Willensentfaltung gegenüber den übrigen Menschen. Beim Volke hatte Philipp der Schöne wenig Einfluß; um so mehr aber bei denjenigen, die seine Kreaturen waren, und das war denn doch ein großes Heer. Eine völlige Kreatur in den Händen Philipps des Schönen von Frankreich war der Papst Clemens V., der vorher Bischof von Bordeaux gewesen war und dann in Avignon residierte (residieren mußte), der nach und nach durch den gewaltigen Willen Philipps des Schönen so weit gekommen war, daß er gar nicht mehr einen eigenen Willen hatte, sondern wirklich seine kirchliche Gewalt nur dazu verwendete, um Philipp dem Schönen zu dienen, allem, was Philipp wollte. Und Philipp der Schöne wollte vor allen Dingen, wie aus einer tiefen Leidenschaft heraus, sich zum Herren aller Reichtümer, die damals verfügbar waren, machen. Kein Wunder, daß er – vor allem, nachdem er gesehen hatte, welch andere Bedeutung das Gold auch haben kann in anderen Händen – vor allen Dingen diese anderen Hände vernichten wollte, die Hände der Templer, um ihr Gold zu erbeuten. [5]

Solch eine Leidenschaft, die auf eine solch materielle Weise angeregt wird und die so intensiv ist, die erzeugt zugleich in der Seele starke Machtkräfte; sie erzeugt aber auch, wenn auch nach dem Ahrimanischen hin gehende Erkenntnisse. Und so konnte es sein, daß in der Seele Philipps des Schönen gewisse Erkenntnisse aufgingen, ich möchte sagen, von nachgeordneter Art, von derjenigen Weise des Erkennens, die wir aufflammen gesehen haben in abscheulicher Weise in den mexikanischen Mysterien (siehe: Mysterien amerikanische). Was man bewirken kann, wenn man in der richtigen Weise Leben überwindet in der Welt, wenn auch in anderer Weise als die mexikanischen Eingeweihten, wenn auch nicht in so unmittelbarer, sondern mittelbarer Weise, das ging Philipp IV. dem Schönen auf. Und wie aus tief unterbewußten Impulsen heraus fand er die Mittel, aus dem Töten von Menschen heraus unterbewußte Impulse der Menschheitsentwickelung einzuverleiben. Dazu brauchte er seine Opfer. Und in einer ganz merkwürdigen Weise stimmte zusammen dieser teuflische Instinkt Philipps mit demjenigen, was sich auf der anderen Seite im Schoße der Templer notwendigerweise entwickelte durch ihr den gekennzeichneten Dingen geweihtes Leben.

Selbstverständlich, wo so etwas Edles, Großes auftritt wie bei den Templern, da gliedert sich auch an dieses Große, Edle manches Ungehörige an, vielleicht auch manches Unmoralische; und daß es selbstverständlich auch Templer gegeben hat, denen man allerlei vorwerfen kann, das soll nicht bestritten werden. Aber im Sinne der Tempelrittergründung war das nicht. Im Sinne der Tempelrittergründung war zuerst das, was die Templer für Jerusalem geleistet hatten, und dann das, was zur Verchristlichung der ganzen europäischen Kultur geleistet werden konnte. Denn allmählich breiteten sich die Templer aus in einflußreichen Gesellschaften über England, Frankreich, Spanien und einen Teil Italiens, über Mitteleuropa, überall breiteten sich die Templer aus. Und bei einzelnen Templern bildete sich in einem höchsten Grade aus dieses ganze Erfülltsein der Seele mit dem Empfinden von dem Mysterium von Golgatha, mit dem Empfinden von all dem, was mit dem christlichen Impulse zusammenhängt. Stark und intensiv wurde die Kraft dieses Verbundenseins mit dem Christus bei den Templern. Das war ein richtiger Templer, der gewissermaßen nichts mehr von sich wußte, sondern, wenn er empfand, den Christus in sich empfinden ließ, wenn er dachte, den Christus in sich denken ließ, wenn er begeistert war, den Christus in sich begeistert sein ließ. Waren es vielleicht wenige, aber gegenüber der gesamten Masse des Tempelrittertums war es immerhin eine stattliche Anzahl von Männern, in denen dieses Ideal eine völlige Umwandelung, eine ganze Metamorphose des Seelenlebens bewirkt hat, die Seele wirklich oft und oft herausgebracht hat aus dem Leibe, sie leben hat lassen in der geistigen Welt. Und wir haben das welthistorische Ereignis vor uns, daß auf weltgeschichtlichem Untergrunde einer Reihe von Männern aus den Untergründen, aus dem Schoße des menschlichen Werdens heraus die christliche Einweihung erwächst, das heißt, das Schauen derjenigen geistigen Welten, die dem Menschen zugänglich werden sollen durch die christliche Einweihung. Nun ergibt sich immer für eine solche Initiation, wie sie jetzt die Folge war bei einer Reihe der Tempelritter, auch die Möglichkeit nicht nur zu sehen das Beseligende, das Göttliche, sondern auch die luziferischen und ahrimanischen Kräfte. Alles das, was dem Göttlichen entgegenwirkt, alles das, was den Menschen in die ahrimanische Welt hinunterzieht und in die luziferische Welt hinaufzieht, all das erscheint neben dem Einblick in die normalen geistigen Welten dem, der eine solche Initiation durchmacht. All die Leiden und all die Versuchungen und all die Anfechtungen, die an den Menschen herankommen durch die dem Guten gegnerischen Mächte, denen steht der also Initiierte gegenüber, und er hat schon Augenblicke, in denen vor seinem geistigen Blicke, vor dem Seelenblicke schwindet die gute geistige Welt, und er sich wie gefangen sieht von dem, was Macht über ihn gewinnen will, und sich in den Händen sieht der ahrimanisch-luziferischen Mächte, die ihn ergreifen wollen, die sich seines Willens, Denkens, Fühlens, Empfindens bemächtigen wollen. Das sind ja die aus den Schilderungen derjenigen, die in die geistige Welt hineingesehen haben, genugsam bekannten geistigen Anfechtungen. Und es war so mancher aus dem Kreise der Tempelritter, der einen tiefen Blick hineintun konnte in das Mysterium von Golgatha und seine Bedeutung, der einen tiefen Blick hineintun konnte in die christliche Symbolik, wie sie sich herausgebildet hatte durch die Entwickelung des Abendmahles, der den tiefen Hintergrund dieser Symbolik schauen konnte. Mancher, der infolge seiner christlichen Initiation hineinschauen konnte in das, was an christlichen Impulsen durch das geschichtliche Werden der europäischen Völker ging, mancher, der in diese Dinge hineinschauen konnte, sah aber auch anderes. Er erlebte es sozusagen an eigener Seele, weil es als Anfechtung über ihn kam, die er immer wieder überwand; die sich ihm zeigte, weil er erkennen mußte, wessen eine menschliche Seele fähig sein kann, wenn sie sich dessen auch nicht bewußt wird. Der Initiierte wird sich dessen bewußt und sucht zu überwinden, was im Unterbewußten sonst bleibt. So lernte manch solcher Tempelritter kennen jenen teuflischen Drang, der sich des menschlichen Wollens und Fühlens bemächtigt, herabzuwürdigen das Mysterium von Golgatha. Und in den Traumbildern, von denen solch ein Initiierter heimgesucht werden kann, erschien manchem visionär – das war bei der Art, wie diese Initiation entstanden war, durchaus möglich, namentlich da ja die luziferischen Kräfte versuchend an der Seite standen – gewissermaßen die Kehrseite der Verehrung des Symbols des Kruzifixus. Er sah in der Vision, wie die menschliche Seele fähig werden konnte, zu verunehren das Kreuzessymbolum, zu verunehren die heilige Handlung der Konsekration der Hostie; er sah jene menschlichen Kräfte, welche dahin drängen, ins alte Heidentum wieder zurückzuführen, anzubeten das, was die Heiden angebetet haben und zu verachten den christlichen Fortschritt. Wie die Menschenseele solchen Anfechtungen erliegen kann, das wußten diese Menschen, weil sie es bewußt überwinden mußten. [6]

So ein rechtes Wissen, wenn auch nur instinktiver Art, von diesen Tatsachen des Seelenlebens hatte durch seine ahrimanische Gold-Initiation auch Philipp der Schöne. Der wußte etwas davon, bis zu dem Grade sogar, daß er es seinen Kreaturen mitteilen konnte. Und nun wurde, nachdem man eine grausame Gerichtsprozedur heraufbeschworen hatte, durch die man allerlei Untersuchungen angestellt hatte, etwas in Szene gesetzt, was von vornherein beschlossen war. Man machte, angestiftet von Philipp dem Schönen, mit den Kreaturen, die zu der Untersuchung herangezogen waren gegen die Templer, Anschläge. Aller möglichen Laster, von denen man wußte, daß sie sie nicht hatten, wurden sie angeklagt. Man hatte sie eines Tages in Frankreich überfallen, um sie alle einzusperren, und nachdem man sie eingesperrt hatte, hat man sich möglichst schnell aller ihrer Schätze gleich bemächtigt, sie alle konfisziert. Man machte nun Gerichts-prozeduren, in denen, ganz unter dem Einflusse Philipps des Schönen, die Folter in ausgiebigstem Maße angewendet wurde. Alle nur auftreibbaren Tempelritter wurden den schlimmsten Folterungen unterworfen. So wurde hier die Folter angewendet zu ähnlichen Überwindungen des Lebens, wie Sie es ja in ihrer Bedeutung kennengelernt haben (siehe: Magie schwarze). Möglichst viele Leute zu foltern, das gehörte mit in die Intentionen Philipps des Schönen. Und die Folterung wurde in der grausamsten Weise vollzogen, so daß eine große Zahl, ja die größte Zahl der gefolterten Tempelritter bis zur Bewußtlosigkeit gefoltert wurden. Das wußte Philipp, was da herauskommt, wenn das Bewußtsein getrübt wurde, wenn diese Leute auf der Folter liegen unter den entsetzlichsten Qualen; er wußte: da kommen die Bilder der Anfechtungen heraus! Und nun wurde unter Anstiftung Philipps eine Katechisierung zusammengestellt, ein Katechismus von Suggestionsfragen, so daß man die Fragen immer so stellte, daß immer in der Frage herausgefordert wurde die Antwort, und die Antwort gegeben aus dem durch die Folter getrübten Bewußtsein. Und so stellte man zusammen aus dem, was die Tempelritter gestanden haben auf der Folter, daß diese Tempelritter angebetet hätten ein Idol statt des Christus, ein Idol eines Menschenkopfes, dessen Augen leuchtend werden, daß sie bei ihrer Aufnahme widerwärtigen Prozeduren schlimmster geschlechtlicher Art unterworfen würden. Selbst der Großmeister des Templerordens ist unter der Folter gewungen worden, aus dem Unbewußten heraus diese Zugeständnisse zu machen. [7]

(Das in den Templerprozessen genannte Wesen) Baphomet, ist ein Wesen der ahrimanischen Welt, welches den Leuten erschien, wenn sie gefoltert wurden. Dann haben sie eine Menge von Visonärem mitgenommen, als sie ins Bewußtsein zurückgekommen sind. [8] Und so kam es denn, daß Philipp der Schöne von Frankreich es dahin bringen konnte, seine Kreatur, den Papst Clemens V. zu überzeugen – es war nicht schwierig! –, daß die Templer alle die schändlichsten Laster begangen hätten, daß sie die unchristlichsten Ketzer seien. Alles das segnete der Papst mit seinem Segen. 54 Tempelritter, auch Jakob Bernhard von Molay, wurden verbrannt. In den übrigen europäischen Ländern wurde ihnen bald danach auch der Prozeß gemacht. So sehen wir, wie hineindringt mitten in die europäische Entwickelung dasjenige, was die Auffassung des Mysteriums von Golgatha und seiner Wirksamkeit durch den Templerorden war. Im tieferen Sinne müssen die Dinge doch angesehen werden als von einer gewissen Notwendigkeit bedingt. So aufzunehmen die Impulse von Weisheit, Schönheit und Stärke, wie die Templer das wollten, dazu war die Menschheit zu der Templer Zeiten noch nicht reif. Die geistige Welt wäre zu schnell errungen worden, wie es luziferische Art ist. Und wir sehen wirklich einen der bedeutungsvollsten Zusammenstöße Luzifers und Ahrimans: Luzifer nur die Templer gleichsam hindrängend, in ihr Unglück hineindrängend; Ahriman durch die Inspiration Philipps IV. des Schönen wirksam. Dasjenige aber, was in den Templern lebte und wirkte, das konnte nicht ausgerottet werden. Geistiges Leben kann nicht ausgerottet werden. Geistiges Leben lebt und webt fort. Mit den Templern, gerade mit jenen 54, die dazumal verbrannt worden waren durch Philipp, war allerdings manche Seele in die geistige Welt hinaufgezogen, die auf der Erde noch manches gewirkt hätte im Sinne der Templer, und auch Schüler herangezogen hätte, die in demselben Sinne gewirkt hätten. Aber es sollte anders kommen. Durch jene Erfahrungen, die die Seelen durchgemacht hatten unter den furchtbarsten Folterqualen, unter dem Einflusse des unter der Folter erpreßten Visionsgeständnisses, lebten sich diese Seelen in die geistige Welt hinauf. Und ihre Impulse, die nun zwischen ihrem Tode und ihrer nächsten Geburt, ihrer nächsten Inkarnation auf die Seelen ausgehen, die heruntergekommen sind seither, und auch auf die Seelen, die noch oben sind und auf ihre Inkarnation warten seit jener Zeit, die sollten verwandelt werden aus der Art und Weise der Wirksamkeit in der physischen Erdenwelt in geistige Wirksamkeit. Und zum Inspirationsprinzip für viele sollte das werden, was jetzt von diesen Templerseelen kam, die auf diese elende Art hingemordet worden sind. [9] Goethe wußte um das Geheimnis der Templer. [10]

Was im Dienste der Wiedererringung der Macht über das Heilige Grab damals getan werden sollte, mit dem sollte in Übereinstimmung stehen das, was im Bewußtsein der Tempelritterseelen lebte. Dadurch entwickelte sich ein besonderes mystisches Leben, durch das diejenigen, die diesem sogenannten geistlichen Orden angehörten, immer mehr für die Welt wirken konnten als andere geistliche Orden. Denn wenn in solcher Weise eben im Zusammenhange mit dem Leben der Umwelt mystisch gelebt wird, dann strömt das, was mystisch erlebt wird, in die unsichtbare, in die übersinnlichen Kräfte der Umwelt der Menschen hinein, wird objektiv, ist dann nicht bloß innerlich in der Seele der Menschen, sondern wirkt im geschichtlichen, im historischen Werden weiter. Durch solche Mystik wird nicht nur seelisch etwas erlebt für das einzelne menschliche Individuum, sondern es wird Seelisches; objektiv gestaltete Mächte, die vorher nicht da waren in der spirituellen Strömung, welche die Menschheit trägt und hält, die werden geboren, die sind dann da. Wenn der Mensch sein Tagewerk vollbringt mit seiner Hände oder mit seiner sonstigen Werkzeuge Arbeit, so stellt er etwas Äußerliches, Materielles in die Welt hinein. Mit solcher Mystik, wie die Tempelritter sie entfaltet haben, wird Geistiges in das Geisttum der Erde hineingestellt. Dadurch aber, daß dies geschah, wurde die Menschheit wirklich eine Etappe weitergebracht in ihrer Entwickelung. [11]

Aber die Zahl 666 ist einmal da in jener Zeit, in welcher der Arabismus hineinschießt in das Christentum, um der abendländischen Kultur das Siegel des Materialismus aufzudrücken, sie ist ein zweites Mal da, nachdem wieder 666 Jahre verlaufen sind: 1332, im 14. Jahrhundert Und da haben wir ein neues Erheben des Tieres aus den Fluten des Weltgeschehens heraus. Es erscheint demjenigen, der so schaut wie der Apokalyptiker, das Weltgeschehen wie ein fortwährendes Fluten einer Epoche von 666. Das Tier erhebt sich, bedrohend das Christentum mit seinem Suchen nach dem wahren Menschentum, geltend machend gegen das Menschentum das Tiertum; es regt sich Sorat. Im 14. Jahrhundert sehen wir wieder sich erheben den Sorat, den Widersacher. Es ist die Zeit, in welcher aus tiefen Seelenuntergründen heraus, viel mehr als aus dem Orientalismus heraus, der Tempelherren-Orden in Europa stiften wollte eine Sonnenansicht des Christentums, eine Ansicht vom Christentum, die wiederum hinaufschaute zu dem Christus als einem Sonnenwesen, als einem kosmischen Wesen, die wiederum etwas wußte von den Geistigkeiten der Planeten und der Sterne, die wußte, wie im Weltengeschehen zusammenwirken die Intelligenzen weit auseinanderliegender Welten, nicht bloß die Wesenheiten eines Planeten, und die auch etwas wußte von den mächtigen Oppositionen, die stattfinden durch solche widerspenstigen Wesenheiten wie den Sonnendämon Sorat, der einer der mächtigsten Dämonen innerhalb unseres Systems ist. Im Grunde ist es Sonnendämonie, welche im Materialismus der Menschen wirkt. Es ist heute natürlich von einem gewissen Gesichtspunkt aus schwierig, davon zu sprechen, was aus der europäischen Zivilisation geworden wäre, wenn der so mächtige, auch äußerlich mächtige Tempelherren-Orden – man hat ihm seine Schätze ja genommen – seine Absichten hätte ausführen können. Aber in den Herzen und Seelen derjenigen, die nicht früher ruhen konnten, als bis dieser Orden 1312 untergegangen war und Jakob von Molay 1314 den Tod gefunden hatte, in den Herzen derjenigen, die die Widersacher des kosmischen, des in den Kosmos hinausschauenden Christus waren, lebte Sorat wieder auf, und nicht zum geringsten Teile so, daß er sich der damaligen Gesinnung der römischen Kirche bediente, um gerade die Templer zu töten. Damals war ja das Hervortreten dieses Sorat schon anschaulicher, denn es umschwebt ein grandioses Geheimnis den Untergang dieses Tempelherren-Ordens. Wenn man in das hineinschaut, was in diesen Menschen, die dazumal als Templer hingerichtet worden sind, vorging während ihrer Folterungen, dann bekommt man schon eine Vorstellung davon, wie das von Sorat angestiftet war, was in den Visionen der gefolterten Templer lebte, so daß sie sich selbst verleumdeten und man eine billige Anklage gegen sie hatte, die aus ihrem eigenen Munde kam. Das furchtbare Schauspiel stand vor den Menschen, daß diejenigen, die etwas ganz anderes vertraten, während ihrer Folterung nicht davon sprechen konnten, sondern daß die verschiedenen Geister aus den Heerscharen des Sorat aus ihnen sprachen und über den Orden selbst die schändlichsten Dinge aus dessen eigenen Angehörigen sprachen. [12]

So sehen wir in der Entwickelung, in dem Schicksal des Templertums einen wichtigen Impuls für alle folgenden Jahrhunderte der neueren Zeit. Hätte das Templertum sich ausleben können mit der Intensität, mit der Stärke, die intendiert war von den großen Templern, dann hätte die folgende Menschheit das nicht ertragen können. Gewissermaßen mußte die Schnelligkeit der Entwickelung abgedämpft werden; zurückgehalten mußte der Strom werden. Damit wurde er aber auch verinnerlicht. Diese Templerseelen, die so durch die Pforte des Todes gegangen sind, sie konnten nun aus den geistigen Welten Ströme geistigen Lebens heruntersenken für die Menschen, die in den folgenden Jahrhunderten lebten. Und jetzt geschieht innerhalb der europäischen Menschheit seit jener Zeit übersinnlich, unsichtbar, ohne daß es sich für den äußeren Anblick in den geschichtlichen Tatsachen sich auslebt, eine geistige Entwickelung, die darinnen besteht, daß immer einzelne der Nachkommenden inspiriert werden aus der geistigen Welt heraus mit dem, was diese 54 Seelen durch die Pforte des Todes hineingetragen hatten in die geistige Welt. Nur ein Beispiel will ich dafür erwähnen. Bevor die tragische Entwickelung sich über den Tempelherrenorden ergossen hat, ein Jahrhundert vorher, hatte in Einsamkeit, könnte man sagen, oder wenigstens nur im kleinen Kreise wirksam, Wolfram von Eschenbach seinen «Parzival» gedichtet, das Lied von jener Seele, die durch innere Läuterung strebt zu jenem Leben, das auch als Endziel dem Templertum vorschwebte. Sehen wir eine bedeutsame äußere Wirkung des «Parzival» im geschichtlichen Werden der folgenden Zeit? Nein. Ins geschichtliche Werden der europäischen Menschheit hat ja erst wiederum Richard Wagner in anderer Art den Parsifal hineingestellt. Aber das, was als spirituelle Macht, als geistiger Impuls dazumal noch von der Erde aus sich in die Seele des Wolfram von Eschenbach ergießen konnte, das wurde in den folgenden Jahrhunderten zur Inspiration von der geistigen Welt aus für manchen anderen. Und wer die Dinge innerlich schaut, wer die geheimnisvollen Zusammenhänge zwischen dem sinnlichen Erdenleben und dem geistigen Leben schaut, der weiß, wie in Goethes Seele hereingeflossen sind die Impulse, die durch das Schicksal der Templer in die geistige Welt hinausgetragen worden sind. In viele andere Menschenseelen ist das eingeflossen und lebt, wenn auch von der äußeren Welt heute noch wenig beachtet. [13]

Zitate:

[1]  GA 171, Seite 197   (Ausgabe 1964, 376 Seiten)
[2]  GA 185, Seite 43f   (Ausgabe 1982, 254 Seiten)
[3]  GA 93, Seite 146   (Ausgabe 1979, 370 Seiten)
[4]  GA 171, Seite 118f   (Ausgabe 1964, 376 Seiten)
[5]  GA 171, Seite 120ff   (Ausgabe 1964, 376 Seiten)
[6]  GA 171, Seite 123ff   (Ausgabe 1964, 376 Seiten)
[7]  GA 171, Seite 126f   (Ausgabe 1964, 376 Seiten)
[8]  GA 300a, Seite 130   (Ausgabe 1975, 0 Seiten)
[9]  GA 171, Seite 128f   (Ausgabe 1964, 376 Seiten)
[10]  GA 171, Seite 131   (Ausgabe 1964, 376 Seiten)
[11]  GA 171, Seite 197   (Ausgabe 1964, 376 Seiten)
[12]  GA 346, Seite 119f   (Ausgabe 1995, 343 Seiten)
[13]  GA 171, Seite 202ff   (Ausgabe 1964, 376 Seiten)

Quellen:

GA 93:  Die Tempellegende und die Goldene Legende. als symbolischer Ausdruck vergangener und zukünftiger Entwickelungsgeheimnisse des Menschen (1904/1906)
GA 171:  Innere Entwicklungsimpulse der Menschheit. Goethe und die Krisis des neunzehnten Jahrhunderts (1916)
GA 185:  Geschichtliche Symptomatologie (1918)
GA 300a:  Konferenzen mit den Lehrern der Freien Waldorfschule. Band I (1919-1924)
GA 346:  Vorträge und Kurse über christlich-religiöses Wirken, V. Apokalypse und Priesterwirken (1924)