Stein der Weisen

Im Oriente wollte man sich durch gewisse Pflanzensäfte für die äußere Anschauung des Makrokosmos anregen. Im Abendlande kam es dann auf, daß man sich durch innere Substanzen anregen wollte. Im Morgenlande nannte man dasjenige, wodurch man wieder durch äußere Mittel, durch Einnehmen von Etwas, die Fähigkeit heraufbeschwören wollte, die im letzten Reste durch die Magier (bei der Geburt von Jesus) erschienen war, den Somatrank. Im Abendlande, bis ins späte Mittelalter herein, ja noch bis in die neuere Zeit nannte man das, was man innerlich einnehmen wollte, um jene Weisheit zu bekommen, die innerliche Wahrnehmung hervorruft, den Stein der Weisen. [1]

Nun ist in dem menschlichen Körper die Entwickelung so: Das, was heute die Pflanze für ihn tun muß, nämlich die Kohle(nhydrate) herstellen – in der Steinkohle sind noch die Pflanzenleichen zu erkennen –, das wird später, wie uns der Okkultismus zeigen kann, durch die weitere Entwickelung vom Menschen durch seine später umgewandelten Herz- und Atmungsorgane selbst geleistet werden. Ein Weg dazu, wie der Mensch diesen Pflanzenprozeß aufnimmt und mit Bewußtsein selbst vollzieht, ist die Rhythmisierung des Atmungsprozesses, so daß er nicht die Kohlensäure an die Pflanze abgibt, sondern in seinem Körper selbst den Kohlenstoff aufbaut. Den Kohlenstoff, die reine, keusche Substanz in sich selbst zu erzeugen, das nennt man die Bereitung des Steines der Weisen. Man hat sich ihn vorzustellen ähnlich wie einen durchsichtigen Diamanten, aber in weicherer Substanz. [2]

Hinter dem Aufsuchen des Steines der Weisen verbirgt sich etwas Tiefes, etwas, was sich auf die Umwandlung der ganzen Menschheit bezieht, so daß der Mensch ein anderer wird, als er heute ist – er und die ganze Erde. So groß und stark und fest, moralisch groß müssen die Kräfte der Seele sein, daß der Mensch auch das Fleisch hineinzieht in den Erlösungsprozeß. Wir haben alles, was um uns herum ist, alle Geschöpfe mitzuerlösen. [3]

Wir wissen, daß den Grundstein, sozusagen den Keim zu dem Phantom (der Gestalt der Form und der Funktionen) des physischen Leibes die Throne während der Saturnzeit gelegt haben, daß dann weiter daran gearbeitet haben die Geister der Weisheit, die Kyriotetes während der Sonnenzeit, die Geister der Bewegung, die Dynamis während der Mondenzeit und die Geister der Form, die Exusiai während der Erdenzeit. Und dadurch erst ist das, was der physische Leib ist, zum Phantom geworden. Daher nennen wir sie die Geister der «Form», weil sie eigentlich in dem leben, was wir das Phantom des physischen Leibes nennen. So müssen wir schon, um den physischen Leib zu verstehen, zum «Phantom» desselben zurückgehen. Nun würden wir also sagen können, wenn wir an den Beginn unseres Erdendaseins uns versetzen: Die Scharen aus den Reihen der höheren Hierarchien, welche über die Saturn-, Sonnen- und Mondenzeit bis zur Erdenzeit den menschlichen physischen Leib in seiner Form bereitet haben, sie haben dieses Phantom zunächst innerhalb der Erdenevolution hereingestellt. In der Tat war als erstes von dem physischen Leib des Menschen das Phantom da, das man nicht mit physischen Augen sehen kann. Das ist ein Kraftleib, der ganz durchsichtig ist. Was das physische Auge sieht, sind die physischen Stoffe, die der Mensch ißt, die er aufnimmt, und die dieses Unsichtbare ausfüllen. [4] Erst mit den Einflüssen des Luzifer sind Kräfte in den Menschen eingezogen, die ihn für die Materie sichtbar machen. Die luziferischen Kräfte in seinem Innern machen den Menschen so sichtbar, wie er uns auf dem physischen Plane entgegentritt; sonst wäre sein physischer Leib immer unsichtbar geblieben. Daher haben die Alchimisten immer betont, daß der menschliche Leib in Wahrheit besteht aus derselben Substanz, aus welcher der ganz durchsichtige, kristallhelle «Stein der Weisen» besteht. Der physische Leib besteht wirklich aus absoluter Durchsichtigkeit, und die luziferischen Kräfte im Menschen sind es, welche ihn zur Undurchsichtigkeit gebracht haben und ihn so vor uns hinstellen, daß er undurchsichtig und greifbar wird. [5]

In der Zukunft wird der Mensch einen begierdefreien Leib höherer Ordnung tragen, den Sie auf niederer Stufe bei der Pflanze haben: er wird sich einen Leib aufbauen können, der auf höherer Stufe pflanzenartig sein wird. In dem Organ, das heute sein Herz ist, wird er dann einen Apparat haben, der das tun wird, was heute die Pflanze tut. Heute gehören Pflanze und Mensch zusammen; eines könnte ohne das andere nicht leben. Gäbe es keine Pflanzen, so müßten alle Sauerstoffatmer in kurzer Zeit aussterben, weil ja die Pflanze es ist, die uns den Sauerstoff (und den assimilierbaren Kohlenstoff) gibt; wir können uns gar nicht denken ohne die Pflanze. Und was heute die Pflanze außerhalb von uns macht (nämlich die Kohlensäure zu assimilieren unter Freisetzung von Sauerstoff), das wird in Zukunft jenes Organ tun, zu dem sich das Herz herausgestalten wird in uns, wenn es ein willkürlicher Muskel sein wird. Wir breiten unser Bewußtsein über die Pflanzen aus, wir wachsen zusammen mit der Pflanzenwelt, so daß, was heute außerhalb von uns die Pflanze macht, später in uns selbst geschieht; dann behalten wir auch den Kohlenstoff, den wir heute abgeben (als Kohlensäure), in uns zurück und bauen uns unseren eigenen Leib daraus auf. [6]

In einer fernen Zukunft wird der Mensch den Kohlenstoff, den er heute mit der Nahrung aufnimmt, bewußt zum Aufbau seiner Leiblichkeit verwenden und nicht mehr ausatmen. Dann wird die menschliche Leiblichkeit aus einer ganz anderen Substanz bestehen, als dies heute der Fall ist. Diese wird ein durchsichtiger, weicher Kohlenstoff sein. Der Leib des Menschen selber ist dann der Stein der Weisen. Das Symbol dafür ist der kristallhelle Diamant, der aus Kohlenstoff besteht. [7]

Der ganze Mensch muß sich umändern, wenn er das vollziehen soll, was jetzt die Pflanze für ihn vollzieht. Sein physischer Leib wird dann selbst Kohlenstoff, aber das wird kein schwarzer Kohlenstoff sein, auch kein harter Diamant, der ja lediglich das Symbol für den Stein der Weisen ist. Unter diesem Stein der Weisen versteht man jenen Leib, der durchsichtig ist, in den die andern Organe eingegliedert sind. Er wird aus einer Masse von geleeartigem Kohlenstoff, ähnlich wie Eiweiß, bestehen. Der Mensch ist auf einer Bahn, in der er sich einstmals zu dieser wunderbaren Glorie entwickeln wird. Das rhythmische Atmen, welches dazu führt, nennt man Alchimie. [8]

Unter dieser Bereitung des Steins der Weisen wird etwas verstanden, das zusammenhängt mit einer Regelung des Atmungsprozesses. Zu den verschiedenen Methoden, durch die der Mensch sich hinaufarbeitet in die höheren Welten, gehört ein gewisses Bewußtwerden und ein nach geistigen Gesetzen geregeltes Atmen in bestimmten Zeiten. Dieses Atmen hat für den ganzen Organismus eine ganz bestimmte Folge. Der Mensch entwickelt durch das Instrument seines eigenen Leibes in sich etwas ganz Bestimmtes, etwas, das wirklich in seinem Leben bis in den Leib hinein auftritt, das dann da ist und ihn befähigt zu einer ganz anderen Anschauung der Welt, weil durch die Atmung eine Wirkung geschieht, die sich selbst in der mineralischen Zusammensetzung des physischen Leibes ausdrückt. So haben wir durch die Regelung des Atmungsrhythmus in dem Menschen selber durch sein eigenes Instrument etwas erzeugt, das genannt wurde der Stein der Weisen. Es ist das, was notwendig ist zu erzeugen in dem menschlichen Organismus, wenn der Mensch in die höheren Welten hineinwachsen soll. Der Prozeß ist genau angebbar, aber man kann ihn nicht ohne weiteres jedem beliebigen Menschen mitteilen. Denn es kann der Natur der Sache nach nur derjenige diesen Prozeß anwenden, der das in ganz selbstloser, durch gar keine persönliche Rücksicht gebundenen Weise tut. [9] (Über die große Problematik und Gefahren der Atemübungen siehe unter: Atemübungen).

Durch die Rhythmisierung des Atmungsprozesses lernt der Mensch, den Kohlenstoff, der in der Natur als Graphit und Diamant vorkommt, als die keusche Pflanzennatur in sich selbst zu erzeugen. [10] Im Laufe der Meditation reinigt der Gedanke die Luft. Es ließe sich sogar chemisch nachweisen und demonstrieren, daß der Kohlenstoff(gehalt) auf die kleinstmögliche Quantität reduziert ist. Der neue Atmungsrhythmus (als Folge der Meditation) verursacht eine Veränderung im Blut. Der Mensch ist bis zu dem Grade gereinigt, daß er selbst das Blut aufbauen kann ohne Hilfe der Pflanzen. Auf längere Sicht verändert die Meditation die Natur des Blutes. Der Mensch atmet dann alsdann weniger Kohlenstoff aus, weil er den Kohlenstoff in sich zurückbehält und ihn zum Aufbau des Körpers verwendet. Er atmet nur reine Luft aus. So wird der Mensch fähig, von seinem eigenen Atem zu leben. Er vollzieht auf diese Weise eine alchimistische Verwandlung. [11]

Der Christus brachte den Menschen die Kraft vom «Baume des Lebens», indem er seinen physischen Leib hingab, in den hineingeheimnißt waren Vererbungskräfte, die bis zu Adam zurückführten, und mit dem verbunden waren ätherische Kräfte, die noch nicht mit der Vererbung zusammenhingen und noch nicht den Todeskeim in sich trugen. Es waren dies ätherische Kräfte, die aus dem Ätherleibe des Adam stammten, als er noch im Paradiese war. Wie kann nun in uns wieder werden der Baum des Todes zum Baum des Lebens? Alles dasjenige, was dem Menschen an Irdischem anhaftet als Triebe und Leidenschaften, muß von ihm überwunden werden. Keusch und rein, wie die Pflanze, muß der Mensch werden. Und wie die Pflanze in ihrer Keuschheit die Kohlensäure in ihren Säftestrom aufnimmt und zu ihrem Leben nötig hat, so muß auch der Mensch in Zukunft sich dahin entwickeln, daß ihm die Kohlensäure nicht mehr schädlich ist, ja ihm sogar das Leben bringt, das höhere Leben. Hat sich diese Umwandlung vollzogen, dann hat der Mensch den «Baum des Lebens» in sich eingepflanzt und die Kraft in sich, den «Stein der Weisen» zu erzeugen. Ähnlich wie die Pflanze, die ihren Leib aus dem Kohlenstoff der aus der Luft eingeatmeten Kohlensäure aufbaut und Sauerstoff abgibt, wird der Mensch dahin gelangen, die Kohlensäure in seinem Blut zurückzuverwandeln in kohlensaure Salze, um daraus seinen Leib zu gestalten und durch den freiwerdenden Sauerstoff aus eigener Kraft das blaue Blut in rotes Blut zu verwandeln. Bei dieser Umwandlung des Blutes, die sich im Herzen vollziehen wird, lösen sich die feinen physischen Bestandteile, die sich bildenden kohlensauren Salze auf und gehen in die Ätherform über; es entsteht eine Ätherströmung, die direkt vom Herzen nach dem Kopfe geht (vergleiche: Ätherisation des Blutes). Und aus diesem verätherisierten Blutstrom, der für die weitere Entwickelung des Menschen von großer Bedeutung ist und der Entfaltung des höheren Lebens dient, erkraftet sich von neuem wieder der Form-Kraftleib (Phantom). In Zukunft wird so wieder allmählich eine Rückbildung des physischen Leibes aus der Verhärtung in seine ursprüngliche Beweglichkeit stattfinden können, die zugleich mit dieser Neubelebung des Form-Kräfteleibes vor sich gehen wird, der dann mehr und mehr nur noch eine Anziehungskraft haben wird zu den aus der Verwandelung hervorgegangenen feinsten mineralischen Substanzen. Die Keime dieser Kräfte trägt heute jeder Mensch in sich, und es ist dem Menschen anheimgestellt, sie zu entwickeln, ja sogar bewußt den Weg voranzugehen, um den Aufstieg zu seiner höheren Entwickelung dadurch abzukürzen. Dieser Prozeß, nämlich die Umwandlung des physischen Leibes durch die Neubelebung und Erkraftung des Form-Kraftleibes (des obigen Phantoms), ist eigentlich die Erzeugung des «Steines der Weisen». Dieser ist also der umgewandelte Leib, der durch den Form-Kraftleib hell und leuchtend wird wie der Diamant, zugleich auch weich und beweglich. [12]

Die Erkenntnis des Steines der Weisen war schon einmal viel verbreiteter als (sie es) heute ist, und zwar schon zu einer gewissen Zeit der atlantischen Bevölkerung. Da war wirklich die Möglichkeit, den Tod zu überwinden, etwas, was gang und gäbe war. Die Überwindung des Todes in der atlantischen Zeit ruht natürlich im Gedächtnisse der Individualitäten, ohne daß sie es wissen. Es sind heute viele Menschen wiedergeboren, die in einer früheren Inkarnation jene Zeit durchgemacht haben, und die durch ihr eigenes Gedächtnis auf solche Erkenntnisse hingeführt werden. [13] (Siehe auch: Baum des Lebens).

Zitate:

[1]  GA 202, Seite 271   (Ausgabe 1980, 296 Seiten)
[2]  GA 98, Seite 54   (Ausgabe 1983, 272 Seiten)
[3]  GA 97, Seite 242   (Ausgabe 1981, 340 Seiten)
[4]  GA 131, Seite 151f   (Ausgabe 1958, 244 Seiten)
[5]  GA 131, Seite 153   (Ausgabe 1958, 244 Seiten)
[6]  GA 100, Seite 181f   (Ausgabe 1981, 276 Seiten)
[7]  GA 97, Seite 212f   (Ausgabe 1981, 340 Seiten)
[8]  GA 97, Seite 198f   (Ausgabe 1981, 340 Seiten)
[9]  GA 57, Seite 153   (Ausgabe 1961, 434 Seiten)
[10]  GA 98, Seite 54   (Ausgabe 1983, 272 Seiten)
[11]  GA 94, Seite 46   (Ausgabe 1979, 312 Seiten)
[12]  We , Seite 55ff   (Ausgabe 1986, 334 Seiten)
[13]  GA 93, Seite 109f   (Ausgabe 1979, 370 Seiten)

Quellen:

GA 57:  Wo und wie findet man den Geist? (1908/1909)
GA 93:  Die Tempellegende und die Goldene Legende. als symbolischer Ausdruck vergangener und zukünftiger Entwickelungsgeheimnisse des Menschen (1904/1906)
GA 94:  Kosmogonie. Populärer Okkultismus. Das Johannes-Evangelium. Die Theosophie an Hand des Johannes-Evangeliums (1906)
GA 97:  Das christliche Mysterium (1906/1907)
GA 98:  Natur- und Geistwesen – ihr Wirken in unserer sichtbaren Welt (1907/1908)
GA 100:  Menschheitsentwickelung und Christus-Erkenntnis. Theosophie und Rosenkreuzertum – Das Johannes-Evangelium (1907)
GA 131:  Von Jesus zu Christus (1911)
GA 202:  Die Brücke zwischen der Weltgeistigkeit und dem Physische des Menschen. Die Suche nach der neuen Isis, der göttlichen Sophia (1920)
We :  Ita Wegmann: Im Anbruch des Wirkens für eine Erweiterung der Heilkunst nach geisteswissenschaftlicher Menschenkunde (1956)