Spiritismus

Diejenige Persönlichkeit, von der die ganze spiritistische Bewegung ausgegangen ist, ist eine der merkwürdigsten der Welt: Swedenborg. Das ganze 18. Jahrhundert stand unter seinem Einfluß. Selbst Kant setzte sich mit ihm auseinander. In der ersten Hälfte seines Lebens war er ein Naturforscher, der an der Spitze der Naturwissenschaft seiner Zeit stand. Er umfaßte sie. Niemand hat ein Recht, Swedenborg anzugreifen als einen Ungelehrten. Wir wissen, daß er nicht nur ein vollgültiger Fachmann seiner Zeit war, sondern auch viele naturwissenschaftliche Wahrheiten vorausgenommen hat, welche man auf den Universitäten erst später entdeckte. So stand er in der ersten Hälfte seines Lebens nicht nur vollkommen auf dem naturwissenschaftlichen Standpunkte, der alles durch den Sinnenschein und durch mathematische Berechnungen erforschen wollte, sondern er eilte auch in dieser Beziehung seiner Zeit weit voraus. Dann wandte er sich ganz dem zu, was man die sogenannte Geisterseherei nennt. [1]

Ein Schüler Pestalozzis (siehe: karmische Reihen) Allan Kardec (ein Pseudonym, eigentlich Hippolyte Rivail) schrieb im Jahre 1858 seine Therorie der Geisterwelt. Er vertrat die Idee der Reinkarnation, der Wiederverkörperung der Menschenseele. Dieser französische Spiritismus hatte in kurzer Zeit eine ebenso zahlreiche Anhängerschaft wie der amerikanische. [2]

Um die spiritistische Bewegung einzuleiten, war es notwendig, daß man bestimmte Prozeduren machte. Diese Prozeduren, die in den gebildeten Ländern gemacht wurden, waren von amerikanischen Okkultisten oder Logen ausgegangen. In diesen Logen beschloß man den spiritistischen Weg. Er bestand darin, daß man bestimmten Zirkeln die Möglichkeit bot, durch eine Art Galvanisation bestimmter Toter, handgreifliche Beweise für die Unsterblichkeit zu geben. Das heißt, es wurden auf dem astralen Plan zunächst die astralen Leichname bestimmter Toter automatisiert und hineingeschickt in die spiritistischen Zirkel, in die physische Welt. Sie sollten die Unsterblichkeit beweisen. Es zeigte sich (aber), daß diese Art, sich von der Unsterblichkeit zu überzeugen, nicht nur wertlos, sondern in gewisser Beziehung außerordentlich schädlich war. Denken Sie sich, daß die Menschen, die auf diese Art den Beweis von der Unsterblichkeit erlangt haben, abkommen von der Sehnsucht, in die geistige Welt hinaufzuleben; sie waren Materialisten auch in bezug auf die geistige Welt geworden. Ihrem Wissen nach waren sie Spiritualisten, ihren Denkgewohnheiten nach waren sie nichts weiter als Materialisten. Sie glaubten an eine geistige Welt, meinten aber, daß sie mit sinnlichen Mitteln gesehen werden solle und nicht mit geistigen. So erwies es sich, daß die, welche mit solchen materialistischen Denkgewohnheiten nach Kamaloka kamen, noch ungewohnter waren, die Dinge drüben zu erkennen als die Materialisten. Die Materialisten glauben gewöhnlich in einer Traumwelt zu sein; das ist das Gewöhnliche, wenn man herüberkommt. Der Materialist glaubt zu träumen, und er glaubt jeden Moment, er müsse aufwachen. [3]

Der Spiritismus kann nicht bloß von der Erde aus impulsiert werden, sondern er hat seine Einflüsse von der anderen Welt, er wird von der anderen Welt dirigiert. Was sich auf spiritistischem Boden abgespielt hat, das war zum Teil ein bedeutungsvolles Hereinragen der geistigen Welt, war durchaus herausfließend aus Impulsen der geistigen Welt, hatte oftmals das Intensivste mit den Schicksalen der Menschen zu tun; aber ein Spiegelbild war es jenes Kampfes (siehe: Sturz der Geister der Finsternis), der eben in der geistigen Region verloren worden ist. Daher auch das eigentümliche Zurückgehen und Korrumpiertwerden des Spiritismus nach dem Herbste 1879. Er wäre das Mittel geworden, die Menschen auf die geistige Welt hinzuweisen, und zwar das einzige Mittel, wenn die Geister der Finsternis 1879 den Sieg erlangt hätten. (Denn) wäre dieser Sieg dazumal zustande gekommen, so lebten wir heute in einer Welt eines ganz unsagbaren Scharfsinnes. Aber auf der anderen Seite würde man in den weitesten Kreisen sein spirituelles Bedürfnis auf medialem Wege zu befriedigen suchen. Materieller Verstand also auf der einen Seite, jene auf herabgestimmtem Bewußtsein beruhende Art, sich zur geistigen Welt in ein Verhältnis zu setzen, auf der anderen Seite. [4]

Das klare Bewußtsein ist wie ein Licht, das die geistigen Einflüsse, die um uns herum sind überstrahlt. Schalten wir unser Bewußtsein aber aus, dann haben wir uns den geistigen Wesenheiten, die unsere Erbauer waren, bevor wir das klare Bewußtsein hatten, genähert. Indem wir unser klares Bewußtsein ausschalten, bewegen wir uns gewissermaßen zurück zu Vorstadien unserer Entwickelung, wo wir noch geistiger waren, während wir heute mit unserem Bewußtsein über jener Sphäre stehen. [5] Das Medium ist ein Erinnerungszeichen an verflossene Zeiten der Entwickelung. In früheren Zeiten waren alle Menschen Medien; alle haben ein astrales Wahrnehmungsvermögen gehabt, alle haben einst die geistige Welt wahrnehmen können. Aus diesem astralen Bewußtsein hat sich aber allmählich unser Bewußtsein, unser helles, klares Tagesbewußtsein herausgebildet. Bei dem Aufstieg in die geistigen Welten, den alle Menschen werden ausführen müssen, werden sie, wenn ich so sagen darf, jene astrale Welt nochmals durchlaufen, nochmals astral wahrnehmend, nochmals hellsehend werden. Das ist aber nur ein Durchgangsstadium. [6] Derjenige, welcher die Gefahren kennt, kann darüber sprechen, welchen gewaltigen Mächten man in jener Welt entgegenzutreten hat; Mächten, welche zerstörend, herunterdrückend auf uns einwirken. Mächten, welche auf der einen Seite nutzbringenden, auf der anderen Seite schädigenden Einfluß haben. Was nutzbringend war, als der Mensch noch in seinem Unterbewußtsein lebte, das ist ihm heute schädlich. Überlassen wir uns willenlos den Mächten, die unsern Aufbau früher betrieben, dann sind wir ihr Werkzeug im Guten wie im Bösen. Daher sollen wir niemals unser Bewußtsein trüben lassen. [7]

Es gibt keinen luziferisch-ahrimanischeren Weg zur geistigen Welt als den spiritistischen. Das führt durchaus auf der einen Seite, beim Medium, in die Nähe von Luzifer, auf der anderen Seite, bei denen, die sich vom Medium ihre «Wahrheiten» sagen lassen, zum Ahrimanismus. Und der Inhalt dieser sogenannten Wahrheiten, ist auch danach. Denn, was das Medium zu sagen hat über Außersinnliches, das ist nicht etwa etwas Höheres als das Sinnliche. Das Sinnliche hat eine gewisse Bedeutung durch die ganze Erdenzeit hindurch. Was Medien zu sagen haben, hat nur durch einen ganz kurzen Zeitraum eine Bedeutung, wenn es auf Wahrheit beruht, selbstverständlich. Es hat nur eine Bedeutung für gewisse elementare geistige Wirkungen einen kurzen Zeitraum hindurch, so daß man immer noch Höheres erfährt, wenn man sein ganzes Leben nichts anderes tut, als durch seine gesunden Augen schauen, durch seine gesunden Ohren hören, als wenn man sich durch Medien etwas über das Außersinnliche sagen läßt. [8]

Wer Geister sucht, indem er sie so wie feine Körper in den Raum hereinbringen will, der hat gar keine Ahnung davon, daß, indem er so verfährt, er schon geistlos verfährt, das heißt, eine Welt aufsucht, die keine Geister enthält. Würde der Spiritismus eine Ahnung haben, wie, um Geister zu finden, man aus Zeit und Raum herausgehen muß, so würde er nicht zu dieser grotesken Vorstellung kommen, daß man räumliche Arrangements treffen kann, durch die sich Geister in irgend einer Weise so ankündigen, wie sich äußere Raumeswirkungen im Zeitprozeß abspielen. [9]

Wie der Mensch heute, wenn er Spiritist wird, noch egoistischer wird, als er früher schon war, so wird er selbstloser, wenn er auf dem anderen Weg, auf dem Wege der Geisteswissenschaft in die geistige Welt (wirklich) eindringen will. [10]

Wer ein wirklicher Geistesforscher ist, der kennt auch diese Gebiete der geistigen Welt, die sich bis zum Gespensterhaften verdichten, aber er weiß, daß alles das, was bis zu einer solchen Verdichtung kommt, lediglich das Absterbende, das Vertrocknende in der geistigen Welt ist. Wenn also zum Beispiel mit Zuhilfenahme eines Mediums etwas zutage gefördert wird als Gedanken eines verstorbenen Menschen, dann haben wir es nur mit dem zu tun, was von dem Verstorbenen sozusagen zurückgeblieben ist. Dann haben wir nicht das vor uns, was durch die Pforte des Todes geht, die geistige Welt durchschreitet und in einem neuen Erdenleben wieder auftritt; dann haben wir es nicht mit dem zu tun, was in der Individualität des verstorbenen Menschen vorhanden ist, sondern mit dem, was in der Schale ist, was abgeworfen wird, wie die verholzenden Teile eines Baumes oder die Schale eines Schalentieres, oder wie die Haut einer Schlange abgeworfen wird. So werden fortwährend von den Wesen der geistigen Welt solche Hülsen, solche unbrauchbaren Dinge abgeworfen, und die können dann durch Medialität, aber eben als Unrealität, sichtbar, wahrnehmbar gemacht werden. Der Geistesforscher weiß allerdings, daß er es nicht mit Unrealitäten zu tun hat, aber er gibt sich nicht dem Irrtume hin, daß er es bei den angedeuteten Erscheinungen mit etwas Fruchtbarem, mit etwas Sprießendem und Sprossendem zu tun hat, sondern mit etwas Absterbendem, Vertrocknendem. Und es muß gleich hervorgehoben werden: Während man es im Gebiete der Sinneswelt mit etwas zu tun hat, was man fallen lassen muß, wenn man einen Irrtum vor sich hat, was man ausschalten muß, sobald man es als Irrtum erkannt hat, hat man es nicht in derselben Weise mit dem Irrtum in der geistigen Welt zu tun. Sondern dort entspricht der Irrtum eben dem Absterbenden, dem Vertrocknenden, und der Irrtum besteht darin, daß man das Absterbende, das Vertrocknende in der geistigen Welt für ein Fruchtbares oder Bedeutungsvolles hält. [11]

Wenn der Astralleib (nach dem Tode) als dritter Leichnam zurückgeblieben ist, lebt dieser noch eine Zeitlang für sich weiter. Er wird dann von der Astralwelt (siehe: Astralplan) aufgesogen. Solche «Astralschemen» – Spektren – werden oft von den Medien bei spiritistischen Sitzungen zitiert. [12] Nun gibt es eine Möglichkeit, solche abgelegten Astralleichname zu galvanisieren, sie hereinzurufen in die sinnliche Welt. Hierzu stellt ein Medium seinen Ätherleib zur Verfügung. Mit dessen Hilfe kommen sogenannte Materialisationen zustande. [13] Selbst die Schrenk-Notzingschen Phantome sind nur feine Ausschwitzungen des Physischen, die noch in ihrer Gestaltung den Nachklang des Ätherischen haben. Es sind bloße Phantome; sie sind nicht ein wirklich Geistiges. [14]

Der Astralleib birgt nun (nach dem Tode) in sich alle im Leben erzeugten Wünsche, ohne die Mittel, sie zu befriedigen, da ein physischer Leib nicht mehr da ist. Das erzeugt in ihm das Gefühl eines verzehrenden Durstes. Man hat die Empfindung einer Feuersglut, in die man versenkt ist. Im Gegensatz dazu gibt der Durst nach nicht vollbrachter Tat der Seele ein Kältegefühl. Der tatsächliche Zustand drückt sich aus in der Kälte, die der Seele entströmt. Es ist eine Kälte, die geboren ist aus den auf Erden nicht verwirklichten Taten. Sie verspüren auch die Spiritisten in ihren medialen Sitzungen. [15]

Die Verfeinerung des materiellen Zustandes kann einen Grad erreichen, der, wenn man ihn überschreitet, bei einer negativen Materie endet; man nennt ihn Akasha. In Akasha drücken sich alle Ereignisse in einer endgültigen Weise ab, und man kann sie alle wiederfinden, selbst diejenigen aus der tiefsten Vergangenheit. Die Bilder dieser Akasha-Chronik sind nicht unbeweglich. Sie entfalten sich beständig wie lebende Bilder, wo die Dinge und Personen sich bewegen und manchmal sogar sprechen. Würde man die Astralgestalt Dantes aufrufen, so spräche sie in seinem Stil, wie aus seiner einstigen Lebenssphäre heraus. Das sind fast immer die Bilder die in spiritistischen Sitzungen erscheinen und für den Geist des Verstorbenen gelten. Es könnte beispielsweise geschehen, daß man angesichts des Erscheinungsbildes Dantes exakte Antworten erhält, aber sie stammen nicht von der Individualität Dantes, die sich fortschreitend weiter entwickelt, sondern vom alten Dante, wie er der Äthersphäre seines Zeitalters verhaftet ist. [16] Die Akasha-Chronik ist zwar zu finden im Devachan, doch sie erstreckt sich herunter bis in die astrale Welt, so daß man in dieser oft Bilder der Akasha-Chronik wie eine Fata Morgana finden kann. Sie sind aber oft unzusammenhängend und unzuverlässig. Medien, wenn sie entsprechende Mediumität haben, können die Akasha-Chronik sehen, obgleich nur meist deren astrale Spiegelung. Die Medien glauben, daß sie es zu tun haben mit dem im Geist fortlebenden Toten, während es doch nur dessen astrales Akasha-Bild ist. [17]

Zitate:

[1]  GA 52, Seite 288f   (Ausgabe 1972, 442 Seiten)
[2]  GA 52, Seite 298f   (Ausgabe 1972, 442 Seiten)
[3]  GA 96, Seite 23f   (Ausgabe 1974, 350 Seiten)
[4]  GA 177, Seite 217   (Ausgabe 1977, 262 Seiten)
[5]  GA 52, Seite 234   (Ausgabe 1972, 442 Seiten)
[6]  GA 52, Seite 237   (Ausgabe 1972, 442 Seiten)
[7]  GA 52, Seite 240   (Ausgabe 1972, 442 Seiten)
[8]  GA 196, Seite 131   (Ausgabe 1966, 305 Seiten)
[9]  GA 187, Seite 75   (Ausgabe 1968, 196 Seiten)
[10]  GA 188, Seite 72   (Ausgabe 1982, 262 Seiten)
[11]  GA 62, Seite 400f   (Ausgabe 1960, 499 Seiten)
[12]  GA 94, Seite 154   (Ausgabe 1979, 312 Seiten)
[13]  GA 97, Seite 286   (Ausgabe 1981, 340 Seiten)
[14]  GA 234, Seite 90   (Ausgabe 1994, 168 Seiten)
[15]  GA 94, Seite 62f   (Ausgabe 1979, 312 Seiten)
[16]  GA 94, Seite 83   (Ausgabe 1979, 312 Seiten)
[17]  GA 99, Seite 43f   (Ausgabe 1962, 172 Seiten)

Quellen:

GA 52:  Spirituelle Seelenlehre und Weltbetrachtung (1903/1904)
GA 62:  Ergebnisse der Geistesforschung (1912/1913)
GA 94:  Kosmogonie. Populärer Okkultismus. Das Johannes-Evangelium. Die Theosophie an Hand des Johannes-Evangeliums (1906)
GA 96:  Ursprungsimpulse der Geisteswissenschaft. Christliche Esoterik im Lichte neuer Geist-Erkenntnis (1906/1907)
GA 97:  Das christliche Mysterium (1906/1907)
GA 99:  Die Theosophie des Rosenkreuzers (1907)
GA 177:  Die spirituellen Hintergründe der äußeren Welt. Der Sturz der Geister der Finsternis (1917)
GA 187:  Wie kann die Menschheit den Christus wiederfinden?. Das dreifache Schattendasein unserer Zeit und das neue Christus-Licht (1918/1919)
GA 188:  Der Goetheanismus, ein Umwandlungsimpuls und Auferstehungsgedanke. Menschenwissenschaft und Sozialwissenschaft (1919)
GA 196:  Geistige und soziale Wandlungen in der Menschheitsentwickelung (1920)
GA 234:  Anthroposophie – Eine Zusammenfassung nach einundzwanzig Jahren. Zugleich eine Anleitung zu ihrer Vertretung vor der Welt (1924)