Spinoza

Benedikt (Baruch) Spinoza frägt sich: Wie muß dasjenige gedacht werden, von dem zur Schöpfung eines wahren Weltbildes ausgegangen werden darf? Spinoza findet, daß ausgegangen nur werden kann von dem, das zu seinem Sein keines andern bedarf. Diesem Sein gibt er den Namen Substanz. Und er findet, daß es nur eine solche Substanz geben könne, und daß diese Gott sei. Wenn man sich die Art ansieht, wie Spinoza zu diesem Anfang seines Philosophierens kommt, so findet man seinen Weg dem der Mathematik nachgebildet. Wie der Mathematiker von allgemeinen Wahrheiten ausgeht, die das menschliche Ich sich freischaffend bildet, so verlangt Spinoza, daß die Weltanschauung von solchen frei geschaffenen Vorstellungen ausgehe. [1]

Spinozas Lehre beruht ja darauf, daß die Gottheit in der Welt aufgegangen ist. Das menschliche Wissen kann also nur bezwecken, sich in die Welt zu vertiefen, um Gott zu erkennen. Jeder andere Weg, zu Gott zu gelangen, muß für einen konsequent im Sinne des Spinozismus denkenden Menschen unmöglich erscheinen. Denn Gott hat jede eigene Existenz aufgegeben; außer der Welt ist er nirgends. Wir müssen ihn aber da aufsuchen, wo er ist. Jedes eigentliche Wissen muß also so beschaffen sein, daß es uns in jedem Stücke Welterkenntnis ein Stück Gotteserkenntnis überliefert. Das Erkennen auf seiner höchsten Stufe ist also ein Zusammengehen mit der Gottheit.1.216f

Spinoza hat ja wirklich aus guten Gründen jenen tiefen Eindruck auf Leute wie Herder und Goethe gemacht, denn Spinoza, wenn er auch scheinbar ganz im Intellektualismus, der aus der Scholastik heraus geblieben ist oder sich umgewandelt hat, noch drinnensteckt, Spinoza faßt doch diesen Intellektualismus so auf, daß der Mensch zuletzt eigentlich nur zur Wahrheit komme – die zuletzt für Spinoza in einer Art Intuition besteht –, indem er das Intellektuelle, das innere denkerische Seelenleben umwandelt, nicht stehenbleibt bei dem, was im Alltagsleben und im gewöhnlichen wissenschaftlichen Leben da ist. Und da kommt gerade Spinoza dazu, sich zu sagen: Durch die Entwickelung des Denkens füllt sich dieses Denken wieder an mit geistigem Inhalt. – Gewissermaßen die geistige Welt, die wir (denkerisch) kennengelernt haben im Plotinismus, ergibt sich wiederum dem Denken, wenn dieses Denken entgegengehen will dem Geiste. Der Geist erfüllt als Intuition wiederum das Denken. Und es ist merkwürdig, daß herausleuchtet aus den Schriften des Juden Spinoza folgender Satz: Die höchste Offenbarung der göttlichen Substanz ist in Christus gegeben. In Christus ist die Intuition zur Theophanie geworden, zur Menschwerdung Gottes, und Christus’ Stimme ist daher in Wahrheit Gottes Stimme und der Weg zum Heil. [2]

Die Anreger Spinozas waren die im Südwesten Europas lebenden Nachzügler des Arabismus, der arabisch- (persisch)-semitischen Weltanschauung. Derjenige, der solche Dinge versteht, wird noch nacherleben können, wie das, was dekadent in der Kabbala hervorgetreten ist, sich in den reinen Vorstellungen des Spinoza wiederfindet. Und so wird man dann weiter zurückgeführt über den Arabismus nach dem Orient, und man lernt erkennen, wie das, was bei Spinoza auftritt, in Begriffe, in intellektualistische Vorstellungen gebrachte Weltansicht der Vorzeit ist. [3]

Als Beispiel für eine regelmäßige Entwicklung einer Individualität können wir betrachten einen Zeitgenossen von Jesus, Philo von Alexandrien. Seine Individualität kam wieder als Spinoza und dann als Johann Gottlieb Fichte. Wir haben hier also eine durchgehende Individualität in drei Persönlichkeiten. Liest man Fichte ohne Kenntnis dieser Vorgänge, so versteht man ihn nur wenig. Mit dieser Kenntnis aber findet man, daß seine Worte mit Feuerschrift geschrieben sind. [4] Dieselbe Individualität ist Spinoza und Fichte. [5]

Zitate:

[1]  GA 18, Seite 113   (Ausgabe 1955, 688 Seiten)
[2]  GA 74, Seite 80ff   (Ausgabe 1967, 117 Seiten)
[3]  GA 325, Seite 85   (Ausgabe 1969, 173 Seiten)
[4]  GA 88, Seite 184   (Ausgabe 1999, 256 Seiten)
[5]  GA 158, Seite 21   (Ausgabe 1993, 234 Seiten)

Quellen:

GA 18:  Die Rätsel der Philosophie. in ihrer Geschichte als Umriß dargestellt (1914)
GA 74:  Die Philosophie des Thomas von Aquino (1920)
GA 88:  Über die astrale Welt und das Devachan (1903-1904)
GA 158:  Der Zusammenhang des Menschen mit der elementarischen Welt. Kalewala – Olaf Åsteson – Das russische Volkstum – Die Welt als Ergebnis von Gleichgewichtswirkungen (1912-1914)
GA 325:  Die Naturwissenschaft und die weltgeschichtliche Entwickelung der Menschheit seit dem Altertum (1921)