Baum

Wenn ein Baum wächst, so stülpt sich in einer gewissen Weise die Erde über dasjenige, was früher von der Erde direkt in die Pflanze hineingeflossen ist; das schießt in den Stamm hinein, und alle Stämme sind im Grunde genommen Auswüchse der Erde. Daß man es nicht so betrachtet, das rührt nur von der wirklich grauenhaften heutigen materialistischen Vorstellung her, daß man die Erde nur als eine aus Mineralien zusammengesetzte vorstellt. Die Erde hat in sich, neben dem, daß sie das Mineralische absondert, auch die Kräfte, die in das Pflanzenhafte schießen. Das stülpt sich auf und wird zum Stamme. Und dasjenige, was dann am Stamm wächst, das ist in bezug auf den Stamm zu vergleichen mit dem, was in den niederen und krautartigen Pflanzen direkt auf der Erde aufsteht. [1] Die Pflanze, die auf dem Baum wächst (als grüne, nicht verholzte Teile), hat ihre Wurzeln verloren, sie hat sich sogar relativ von ihr getrennt und ist nur mit ihr verbunden, ich möchte sagen, mehr ätherisch. Sie werden durch das Kambium ersetzt. Es ist die Bildungsschichte, die immer neue Zellen bildet, aus der heraus sich das Wachstum immer wieder entfaltet, so wie sich aus einer Wurzel unten das krautartige Pflanzenleben oben entfalten würde. Wir können so recht sehen dann, wie im Baum mit seiner Kambiumschichte tatsächlich das Erdige sich aufgestülpt hat, hinausgewachsen ist in das Luftartige, dadurch mehr Verinnerlichung des Lebens braucht, als die Erde sonst in sich hat, indem sie die gewöhnliche Wurzel noch in sich hat. Und wir fangen an den Baum zu verstehen als ein merkwürdiges Wesen, das dazu da ist, die auf ihm wachsenden «Pflanzen»: Stengel, Blüten, Frucht und deren Wurzel auseinanderzutrennen und nur durch das Ätherische zu verbinden.

Wenn wir die auf dem Boden wachsende Pflanze anschauen, ist sie vom Astralischen umschwebt und umwölkt. Hier aber, an dem Baum, ist diese Astralität viel dichter. Unsere Bäume sind deutlich Ansammler von astralischer Substanz. [2]

Weit um sich herum macht der Baum die geistige Atmosphäre astralreicher in sich. Wenn das Krautartige oben auf dem Baum wächst, dann hat es eine bestimmte innere Vitalität, Ätherizität, ein gewisses starkes Leben in sich. Das Kambium dämpft nun dieses Leben etwas mehr herunter, so daß es mineralähnlicher wird. Dadurch aber, daß da im Baum durch das Kambium Ätherärmeres entsteht, wird auch die Wurzel wiederum beeinflußt, sie wird viel mineralischer, als die Wurzeln der krautartigen Pflanzen sind. Dadurch aber, daß sie mineralisierter wird, entzieht sie dem Erdboden aber jetzt in diesem, was im Lebendigen drinnen bleibt, etwas von seiner Ätherizität. Sie macht den Erdboden etwas mehr tot in der Umgebung des Baumes, als er sein würde in der Umgebung der krautartigen Pflanze. [3]

Das, was an Elementarwesen im Flüssigen ist, durchströmt den Baum in seinem Safte selber. Es strömt hinein, mit seiner Empfindung in jedes Blatt. Es empfindet nicht nur von außen das Rot, das Blau, es erlebt innerlich diese Farbe, es trägt seine Empfindungen in alles Innerliche hinein. [4] Auf diese Weise bekommen Sie dasjenige, was wirkliches Seelenleben der Erde ist, sich spiegelnd in den Pflanzen. Farne, Moose, Pilze entfalten unter der Erde alles das, was ihnen fehlt, nur bleibt es Äthersubstanz, wird nicht physische Substanz. Wenn diese Ätherpflanze über die Erdoberfläche herauskommt, dann verwandelt sie das, was da herausdringt, durch die Wirkung der äußeren Kräfte in diese Rudimente von Blättern, was die Pilze, Moose, Farne sind. Drunten unter einer Moosfläche, oder einer von Pilzen bewachsenen Fläche, ist etwas wie ein Riesenbaum, und wenn die Erde das da unten nicht aufzehren kann, nicht bei sich behalten kann, dann drängt es sich nach außen. Der Baum ist ein Stückchen der Erde selbst, Stamm und Äste. Da wird nur das, was bei den Pilzen und Farnen noch da drunten ist, herausgehoben. [5]

Der Holzsaft, der im Baum nach aufwärts steigt, der ist im Grunde: in der ganzen Erde vorhanden; nur, in der Erde ist dieser Saft eigentlich etwas ganz Besonderes. In der Erde ist er nämlich der eigentlich erdenbelebende Saft. Die Erde ist wirklich ein Lebewesen. Und das, was dann in den Baum hinaufsteigt, das ist in der ganzen Erde; durch das lebt die Erde. Im Baum, da verliert nämlich dieser Saft die Lebensfähigkeit, da hat er nur noch chemische Kräfte. Wenn nichts anderes wäre, dann würde überhaupt niemals eine Pflanze entstehen, sondern es würden nur Stümpfe entstehen, die nach oben absterben und in denen sich chemische Vorgänge abspielen. Der Holzsaft – mit dem was er erzeugt – kommt also aus dem Erdig-Flüssigen in das Flüssig-Luftige. Und im Flüssig-Luftigen, da bildet sich wiederum das Leben neu, so daß sich der Stamm ringsherum besetzt mit dem, was dann im grünen Laub lebt. Im Stamm stirbt fortwährend das Leben ab, im Blatte macht es sich neu. So daß wir sagen müssen: Wir haben Holzsaft, der steigt nach oben; dann haben wir Lebenssaft, der geht da herum und erzeugt überall die Blätter. Daher können Sie auch solche Spiralen, in denen die Blätter angeordnet sind beobachten. Der Lebenssaft, der kreist also eigentlich herum. Und der rührt aus dem Flüssig-Luftigen her, in das die Pflanze kommt, wenn sie aus dem Erdig-Flüssigen herausgewachsen ist. Wenn der Holzsaft im Frühling aufsteigt, so wird in der Erde der Baum neu. Wenn dann im Frühling der Lebenssaft wieder neu herumkreist, wird der Baum jedes Jahr neu lebendig. [6]

Für die geistige Lebensbetrachtung ist dies von Bedeutung, daß man sich einer Ganzheit bewußt wird. Denn sehen Sie, da wo die äußeren Blätter sind, da hört der Baum auf mit dem, was innerliche Ursachen sind für das, was da geschieht. Wo die Blätter aufhören, da hören auch die verursachenden Kräfte auf. Hier wo die verursachenden Kräfte aufhören, sehen Sie, wenn Sie geistig schauen, den Baum umspielt von geistiger Wesenhaftigkeit, von geistigen Elementarwesen, da beginnt, wenn ich so sagen darf, ein negativer Baum, der sich ins Unendliche hinausdehnt – nur scheinbar ins Unendliche, denn er verliert sich nach einiger Zeit. [7]

In früheren Erdenleben da sah der Mensch, wenn der Sonnenschein am Tage schwächer wurde, nicht Symbole der physischen Dinge, sondern die physischen Dinge verschwanden vor seinem Blicke. Der Baum, der vor einem stand, verschwand; er verwandelte sich in Geistiges. Der Geist, der dem Baum zugehörte, trat an die Stelle. [8]

Zitate:

[1]  GA 312, Seite 110f   (Ausgabe 1976, 392 Seiten)
[2]  GA 327, Seite 181f   (Ausgabe 1963, 306 Seiten)
[3]  GA 327, Seite 184   (Ausgabe 1963, 306 Seiten)
[4]  GA 211, Seite 205   (Ausgabe 1986, 223 Seiten)
[5]  GA 295, Seite 117   (Ausgabe 1984, 198 Seiten)
[6]  GA 351, Seite 114ff   (Ausgabe 1966, 270 Seiten)
[7]  GA 179, Seite 65   (Ausgabe 1977, 164 Seiten)
[8]  GA 238, Seite 23   (Ausgabe 1960, 184 Seiten)

Quellen:

GA 179:  Geschichtliche Notwendigkeit und Freiheit. Schicksalseinwirkungen aus der Welt der Toten (1917)
GA 211:  Das Sonnenmysterium und das Mysterium von Tod und Auferstehung. Exoterisches und esoterisches Christentum (1922)
GA 238:  Esoterische Betrachtungen karmischer Zusammenhänge - Vierter Band. Das geistige Leben der Gegenwart im Zusammenhang mit der anthroposophischen Bewegung (1924)
GA 295:  Erziehungskunst. Seminarbesprechungen und Lehrplanvorträge (1919)
GA 312:  Geisteswissenschaft und Medizin (1920)
GA 327:  Geisteswissenschaftliche Grundlagen zum Gedeihen der Landwirtschaft (Landwirtschaftlicher Kursus) (1924)
GA 351:  Mensch und Welt. Das Wirken des Geistes in der Natur. Über das Wesen der Bienen (1923)