Scotus Erigena

Einen Mönch, der aus Schottland stammte und daher auch der schottische Johannes genannt wurde, der am Hofe Karls des Kahlen lebte. In der Kirche hat er schlecht abgeschnitten; die Sage erzählt, daß seine Ordensbrüder ihn mit Stecknadeln zu Tode gemartert hätten. Wörtlich ist das freilich nicht zu nehmen; aber wahr ist, daß er zu Tode gemartert wurde. Ein herrliches Buch ist von ihm verfaßt worden: «De devisione naturae» – «Über die Einteilung der Natur» –, das eine ungeheure Tiefe aufweist, [1] (darinnen er) die Siebenteilung des Menschen lehrte wie alle Theosophen. [2] Auch PlatosIdeenwelt fand Eingang in dieses geistige Leben. Besonders geschah dies durch schottische und irische Mönche, vor allem durch Scotus Erigena. [3] Er hatte zu kämpfen gegen eine feindliche Richtung in der Kirche. Er verteidigte die alte Lehre, daß das Abendmahl die Versinnbildlichung des höchsten Opfers bedeutete. Eine andere, materielle Auffassung bestand und wurde von Rom protegiert, daß Brot und Wein sich wirklich in Fleisch und Blut verwandeln. Unter dem Einfluß der vor sich gehenden Vermaterialisierung entstand das Abendmahlsdogma, doch erst im 13. Jahrhundert wurde es offiziell. Scotus mußte nach England flüchten und wurde auf Betreiben des Papstes im eigenen Kloster von den verbrüderten Mönchen hingemordet. [4]

Scotus Erigena übernimmt im 9. Jahrhundert diese Weltanschauung (die Äonenlehre der Gnostiker und des Dionysius Areopagita) und baut sie in seiner Art aus. Für ihn stellt sich die Welt als eine Entwickelung in vier «Naturformen» dar. Die erste ist die «schaffende und nicht geschaffene Natur». In ihr ist der rein geistige Urgrund der Welt enthalten, aus dem sich die «schaffende und geschaffene Natur» entwickelt. Das ist eine Summe von rein geistigen Wesenheiten und Kräften, die durch ihre Tätigkeit erst die « geschaffene und nicht schaffende Natur» hervorbringen, zu welcher die Sinnenwelt und der Mensch gehört. Diese entwickeln sich so, daß sie aufgenommen werden in die «nicht geschaffene und nicht schaffende Natur», innerhalb welcher die Tatsachen der Erlösung, die religiösen Gnadenmittel und so weiter wirken. [5]

Diejenigen, die mehr oder weniger, wenn auch mit Scharfsinn und Geistreichigkeit, dem Rationalismus zugeneigt sind, die werden schon schimpfen, wenn sie das zu Gesicht, zum geistigen Gesichte bekommen, was da ausströmte von dem Areopagiten, und was dann eine letzte bedeutende Offenbarung fand in diesem Erigena. Er war in den letzten Lebensjahren noch Benediktinerprior. Aber seine eigenen Mönche haben ihn, wie die Sage sagt – die Sage, ich sage ja nicht, daß das wörtlich wahr ist, aber wenn es nicht ganz wahr ist, so ist es annähernd wahr –, die haben ihn so lange mit Stecknadeln bearbeitet, bis er tot war, weil er noch den Plotinismus hereinbrachte in das 9. Jahrhundert. Aber über ihn hinaus lebten seine Ideen, die zugleich die weitere Fortbildung der Ideen des Areopagiten waren. Seine Schriften sind mehr oder weniger bis in spätere Zeiten hinein verschwunden gewesen; sie sind dann ja auf die Nachwelt gekommen. Im 12. Jahrhundert ist Scotus Erigena als Ketzer erklärt worden. Aber das hat ja noch nicht eine solche Bedeutung gehabt wie später und wie heute. Trotzdem sind Albertus Magnus und Thomas von Aquino tief beeinflußt auch von den Ideen des Scotus Erigena. [6] Auch Scotus Erigena hat einverwoben gehabt ein Abbild des Ätherleibes des Jesus (siehe: Abbilder). [7]

Zitate:

[1]  GA 101, Seite 173   (Ausgabe 1987, 288 Seiten)
[2]  GA 52, Seite 83   (Ausgabe 1972, 442 Seiten)
[3]  GA 51, Seite 120   (Ausgabe 1983, 360 Seiten)
[4]  GA 51, Seite 144   (Ausgabe 1983, 360 Seiten)
[5]  GA 18, Seite 88   (Ausgabe 1955, 688 Seiten)
[6]  GA 74, Seite 51   (Ausgabe 1967, 117 Seiten)
[7]  GA 109, Seite 58   (Ausgabe 1979, 304 Seiten)

Quellen:

GA 18:  Die Rätsel der Philosophie. in ihrer Geschichte als Umriß dargestellt (1914)
GA 51:  Über Philosophie, Geschichte und Literatur. Darstellungen an der «Arbeiterbildungsschule» und der «Freien Hochschule» in Berlin (1901/1905)
GA 52:  Spirituelle Seelenlehre und Weltbetrachtung (1903/1904)
GA 74:  Die Philosophie des Thomas von Aquino (1920)
GA 101:  Mythen und Sagen. Okkulte Zeichen und Symbole (1907)
GA 109:  Das Prinzip der spirituellen Ökonomie im Zusammenhang mit Wiederverkörperungsfragen. Ein Aspekt der geistigen Führung der Menschheit (1909)