Schulung esoterische
► Moralische Empfindung als Wahrnehmungsorgan

Derjenige der mit einem okkult geschulten Blick hinter die physischen Tatsachen zu schauen vermag, der findet hinter all dem, was sich ausbreitet als Farbe, als Töne, als Wärme, als Kälte, was sich ausbreitet an Naturgesetzen, sogleich Wesenheiten, die sich für die äußeren Sinne und für den äußeren Verstand nicht offenbaren, die hinter der physischen Welt liegen. Dann dringt er immer tiefer und tiefer, und er entdeckt sozusagen Welten mit Wesenheiten von immer höherer Gattung. Wenn der okkulte Blick das durchdringt, was sich in der Natur draußen darstellt als Farbe, als Form, als mineralische, pflanzliche, tierische Gebilde, wenn der okkulte Blick das alles durchdringt, dann findet er den Ätherleib der physischen Natur als eine Vielheit, als eine unendliche Mannigfaltigkeit. Man gelangt immer mehr zu der Anerkennung dieser Äther- oder Lebenswelt hinter der physischen Natur dadurch, daß man beginnt, die ganze Welt, die um einen herum ist, moralisch zu empfinden. Was heißt das: die Welt moralisch empfinden? Wir nehmen an, wir blicken überall hin in das sich über uns ausspannende Blau des Himmels; dann tritt ein gewisser Moment ein, ein Moment, wo aufhört das Blau des Himmels, wo wir nicht mehr Blau sehen, wo das Blau aufhört für uns blau zu sein, dann werden wir in unserer Seele eine ganz bestimmte Stimmung bemerken. Fromm fühlt unsere Seele, fromm gegenüber einer Unendlichkeit, hingegeben fromm. Alle religiösen Gefühle der Menschheitsentwickelung haben im Grunde genommen eine Nuance, welche das in sich schließt, was ich jetzt hier fromm nenne. Indem das Blau verschwunden ist, lebte auf in unserer Seele eine moralische Empfindung gegenüber der äußeren Welt. [1] Und so kann man alle äußeren Gesichtseindrücke in moralische verwandeln, so kann man Gehöreindrücke in moralische Empfindungen verwandeln. Nehmen wir an, wir hören einen Ton und hören daraufhin seine Oktave. Wenn wir gegenüber diesem Zweiklang eines Grundtones und seiner Oktave wiederum unsere Seele so stimmen, daß sie alles übrige vergißt, alles sonstige aus sich ausschaltet und dann, ganz hingegeben diesem Zweiklange des Grundtones der Prim und der Oktave, endlich es dahinbringt, trotzdem diese zwei Töne tönen, sie nicht mehr zu hören, gleichsam die Aufmerksamkeit abzuwenden von diesem Zweiklang, dann finden wir, daß in unserer Seele wiederum eine moralische Empfindung losgelöst wird. Wir fangen dann an, ein geistiges Verständnis zu empfangen für das, was wir erleben, wenn in uns ein Wunsch lebt, der uns zu irgend etwas hinführen will, und dann unsere Vernunft auf diesen Wunsch wirkt. Das Zusammenklingen von Gedanke und Begierde, wie sie in der menschlichen Seele leben, dies empfindet sie an einem Ton und seiner Oktave. So könnten wir die mannigfaltigsten Sinnesempfindungen auf uns einwirken lassen. Wir können auf diese Weise das, was wir ringsherum in der Natur durch unsere Sinne wahrnehmen, gleichsam verschwinden lassen, so daß diese sinnliche Decke hinweggehoben wird; dann werden überall moralische Empfindungen der Sympathie und Antipathie auftreten. Und wenn wir auf diese Weise uns angewöhnen, alles das, was unsere Augen sehen, was unsere Ohren hören, was unsere Hände greifen, was unser Verstand, der an das Gehirn gebunden ist, versteht, auszuschalten und uns angewöhnen, doch der Welt gegenüberzustehen, dann wirkt ein Tieferes in uns als die Sehkraft unserer Augen, als die Hörkraft unserer Ohren, als die Verstandeskraft unseres Gehirndenkens: dann stehen wir mit einem tieferen Wesen der Außenwelt gegenüber. Geradeso wie wir, wenn wir hinter den physischen Leib des Menschen blicken, in den Ätherleib gelangen, so kommen wir auf diese Weise in ein Gebiet, auf dem sich uns nach und nach mannigfaltige Wesenheiten enthüllen, jene Wesenheiten, welche hinter dem mineralischen Reich, hinter dem pflanzlichen und tierischen Reich wesen und kraften. Die ätherische Welt geht uns nach und nach differenziert in ihren Einzelheiten auf. Man hat in der okkulten Wissenschaft immer das, was auf die geschilderte Weise dem Menschen nach und nach aufgeht, die elementarische Welt genannt. [2]

Zitate:

[1]  GA 136, Seite 21ff   (Ausgabe 1984, 246 Seiten)
[2]  GA 136, Seite 24ff   (Ausgabe 1984, 246 Seiten)

Quellen:

GA 136:  Die geistigen Wesenheiten in den Himmelskörpern und Naturreichen (1912)