Schmetterling

Das Ei, das braucht vor allen Dingen, wenn es so weit kommen soll, daß die Raupe auskriechen kann, manchmal furchtbar wenig – aber es braucht Feuchtigkeit, in der etwas Salz aufgelöst ist. Kein Ei kann gedeihen, ohne daß es etwas Feuchtigkeit, in der etwas Salz aufgelöst ist, bekommt. Daher muß das Tier, der Schmetterling, diesen Instinkt haben, das Ei irgendwo hinzulegen, wo es Feuchtigkeit bekommen kann, in der etwas Salz enthalten ist. Ohne das geht es also nicht. Es ist das, was ich Ihnen hier für den Schmetterling erzähle, eben gerade auch so für die Biene und so weiter. Es ist für die Biene auch notwendig, daß da, wo die Eier abgelegt werden, etwas durchdringt – wenn es auch wenig ist -, daß Salz hineinkommt. Es braucht nur wenig, es genügt das, wenn der Nebel durchgeht; der hat ja immer etwas Salzfeuchtigkeit. Es kommt einem da die Natur zu Hilfe. [1] Sie wissen, der Schmetterling legt sein Ei. Aus dem Ei kommt die Raupe heraus. Sie kommt an die lichtdurchflossene Luft. Wie diese Raupe nun in der sonnendurchleuchteten Luft lebt, das müssen Sie dann studieren, wenn Sie sagen wir, des Nachts im Bette liegen, die (Kerzen-)Lampe angezündet haben und eine Motte nach der Lampe fliegt, dem Lichte zufliegt und den Tod findet im Lichte. Dieses Licht wirkt auf die Motte so, daß sie sich unterwirft dem Tod-Suchen. Damit haben wir schon die Wirkung des Lichtes auf das Lebendige. Nun die Raupe kann nicht zur Lichtquelle hinauf, um sich hineinzustürzen, zur Sonne nämlich, aber sie möchte es; sie möchte es ebenso stark, wie es die Motte will. Die Motte wirft sich in die Flamme und findet den Tod im physischen Feuer. Die Raupe sucht ebenso die Flamme, jene Flamme die ihr entgegenkommt von der Sonne. Aber sie kann sich nicht in die Sonne werfen; der Übergang ins Licht und in die Wärme bleibt bei ihr etwas Geistiges. Die ganze Sonnenwirkung geht auf sie über als eine geistige. Sie verfolgt jeden Sonnenstrahl, diese Raupe, sie geht bei Tag mit dem Sonnenstrahl mit. Geradeso wie sich die Motte einmal ins Licht stürzt und ihre ganze Mottenmaterie hingibt dem Lichte, so webt die Raupe ihre Raupenmaterie langsam in das Licht hinein, setzt bei Nacht ab, webt bei Tag weiter, und spinnt und webt um sich herum den ganzen Kokon. Und im Kokon, in dem Kokonfaden haben wir darinnen dasjenige, was aus ihrer eigenen Materie die Raupe, indem sie fortspinnt im strömenden Sonnenlicht, aus sich heraus webt. Wenn Sie den Kokon des Seidenspinners nehmen und sehen ihn an: das ist gewobenes Sonnenlicht, nur daß das Sonnenlicht verkörpert ist durch die Substanz der seidenspinnenden Raupe selber. Damit aber ist der Raum innerlich abgeschlossen. Das äußere Sonnenlicht ist überwunden gewissermaßen (wie bei den druidischen Dolmen), das ist jetzt da innerlich und schafft aus dem Innerlichen heraus den Schmetterling. [2] Und jetzt kann die Kraft der Sonne, die da eingefangen ist, die da eine Gefangene ist, die kann den Schmetterling im Innern schaffen, und der kann dann als ein Sonnengeschöpft herausfliegen und sich als ein Sonnengeschöpf bewegen. [3]

Die Raupe möchte ans Licht, kann aber nicht; sie hat zuviel Schwerekräfte in sich. Sie ist dem nicht gewachsen, dem sie jetzt ausgesetzt ist. Daher will sie selber aufgehen im Licht, sie will sich ins Licht hineinergießen, sie will im Licht weiterleben. Sie schließt sich gegen die Erde mit den Sonnenstrahlen ab, sie macht einen Kokon um sich herum. Die Raupe schließt sich in der Puppe von den physischen Erdenkräften ganz ab. Und jetzt hat die Puppe im Innern, wo der «Wurm» verschwunden ist, astralische Kräfte in sich, nicht mehr Erdenkräfte und nicht mehr ätherische Kräfte, sondern astralische, ganz geistige Kräfte in sich, und diese astralischen Kräfte leben im eingefangenen Licht. Und diese astralischen Kräfte, die schaffen den Schmetterling. Der kann jetzt, weil er ganz aus astralischen Kräften besteht, in der Luft herumfliegen, was die Raupe nicht kann. Er folgt nur dem Lichte, er unterliegt nicht mehr der Schwere. Es ist die Schwere dadurch, daß er sich hingegeben hat, ausgeschaltet. So daß man sagen kann: Er ist zum Ich herangereift. Ein Ich ist es, in dem wir sozusagen den Schmetterling herumflattern sehen. Wir Menschen haben unser Ich in uns. Der Schmetterling hat es außer sich. Das Ich ist eigentlich Licht. Das färbt ihn. [4]

Jedesmal, wenn Sie zu sich Ich sagen, glänzt in Ihrem Hirn eine kleine Flamme auf, die nur mit den gewöhnlichen Augen nicht gesehen werden kann. Dieses selbe Licht, das den Schmetterling in Farben färbt, das rufe ich in mir auf, wenn ich zu mir Ich sage. Könnte ich es ausstrahlen, so könnte ich mit diesem Ich, mit diesem Licht lauter Schmetterlinge erschaffen. Im ganz alten Judentum, da gab es ein Wort: «Jahve», was dasselbe bedeutet wie «Ich». Dieses Wort, in der hebräischen Sprache Jahve, durfte nur der Priester aussprechen, weil der Priester dazu vorbereitet war, sich zu sagen, was das bedeutet. Denn der Priester sah in dem Momente, wo er Jahve aussprach, überall die Bilder von herumfliegenden Schmetterlingen, wenn er es mit der richtigen Herzhaftigkeit aussprach. [5]

Sehe ich auf dasjenige, was ich in mir trage als meine Erinnerungen, so geht ein komplizierter Prozeß vor sich. Unten im physischen Leib geschieht, auf eine allerdings geistige Art, eine Art Eibildung, die allerdings etwas ganz anderes ist im

Ätherischen, etwas, was äußerlich physisch der Raupenbildung ähnlich ist, im astralischen Leib, was innerlich ähnlich ist der Puppenbildung, der Kokonbildung; und dasjenige, was, wenn ich eine Wahrnehmung habe, in mir einen Gedanken auslöst, hinunterschiebt, das ist so, wie wenn der Schmetterling ein Ei legt. [6]

Wenn wir uns den Schmetterling ansehen: er flattert in der Luft, in der lichtdurchflossenen, lichtdurchglänzten Luft mit seinen schillernden Farben. Er wird getragen von den Wogen der Luft. Er berührt eigentlich kaum, was mond-erdig-wäßrig ist. Sein Element ist dasjenige, was oben ist. Wenn man dann nachforscht, wie eigentlich die Entwickelung ist, so kommt man gerade bei dem kleinen Insekt merkwürdigerweise in sehr frühe Zeiten der Erdenmetamorphose. Was heute in der lichtdurchglänzten Luft als Schmetterlingsflügel schimmert, das hat sich zuerst in der Anlage gebildet während des alten Saturn, hat sich weiter entwickelt während der alten Sonnenzeit. Da ist das entstanden, was heute noch dem Schmetterling möglich macht, eigentlich ein Licht-Luft-Geschöpf zu sein. Die Sonne verdankt die Gabe, daß sie Licht verbreitet, sich selbst. Die Sonne verdankt die Gabe, daß ihr Licht in den Substanzen Feuriges, Schimmerndes hervorruft, der Saturn-Jupiter-Mars-Einwirkung. [7] Das Schmetterlingsei steht durchaus nur unter dem Einfluß der Sonne. Die Raupe kommt heraus und bleibt unter dem Einfluß der Sonne. Sie würde nicht kriechen können, wenn sie nicht noch unter den Marseinfluß käme. Dann verpuppt sich die Raupe, bildet um sich einen Kokon, aber es bedarf, damit das geschieht, der Jupitereinwirkung. Und nur mit dem Saturn zusammen kann die Sonne das Licht so in die Luft senden, daß der Falter in der Luft erglänzen kann in seinen mancherlei Farben. [8] Der Schmetterling atmet eigentlich immer nur durch Röhren, die in sein Inneres hineingehen, dadurch hat er die Möglichkeit, mit der Luft, die er einatmet zugleich das Licht, das in der Luft ist, in seinem ganzen Körper aufzunehmen. [9] Der Schmetterling gibt fortwährend vergeistigte Materie an den Kosmos ab, und er ist der Liebling der Saturnwirkungen. Der Schmetterling hängt ganz zusammen mit dem Erinnerungsvermögen unseres Planeten. [10] Es ist etwas ganz Eigenes, das Insekt auf der Pflanze sitzen zu sehen, und zu gleicher Zeit dann zu sehen, wie über der Pflanzenblüte das Astralische waltet. Da strebt die Pflanze aus dem Irdischen hinaus. Die Sehnsucht der Pflanze nach dem Himmel waltet über den farbenschimmernden Blütenblättern. Die Pflanze selber kann diese Sehnsucht nicht befriedigen. Da strahlt ihr entgegen aus dem Kosmos dasjenige, was der Schmetterling ist. In dem sieht sie, ihn anschauend, die Befriedigung ihrer eigenen Wünsche. Die Erdenpflanze ist der festsitzende Schmetterling. Der Schmetterling ist die fliegende Pflanze. [11] Der Schmetterling ist die Hieroglyphe, das Zeichen für den Luftzustand des Menschen auf der alten Sonne. [12]

Zitate:

[1]  GA 351, Seite 13   (Ausgabe 1966, 270 Seiten)
[2]  GA 230, Seite 22ff   (Ausgabe 1985, 218 Seiten)
[3]  GA 351, Seite 15   (Ausgabe 1966, 270 Seiten)
[4]  GA 351, Seite 17   (Ausgabe 1966, 270 Seiten)
[5]  GA 351, Seite 17f   (Ausgabe 1966, 270 Seiten)
[6]  GA 230, Seite 25   (Ausgabe 1985, 218 Seiten)
[7]  GA 230, Seite 67   (Ausgabe 1985, 218 Seiten)
[8]  GA 230, Seite 69   (Ausgabe 1985, 218 Seiten)
[9]  GA 230, Seite 84   (Ausgabe 1985, 218 Seiten)
[10]  GA 230, Seite 88   (Ausgabe 1985, 218 Seiten)
[11]  GA 230, Seite 74f   (Ausgabe 1985, 218 Seiten)
[12]  GA 101, Seite 167   (Ausgabe 1987, 288 Seiten)

Quellen:

GA 101:  Mythen und Sagen. Okkulte Zeichen und Symbole (1907)
GA 230:  Der Mensch als Zusammenklang des schaffenden, bildenden und gestaltenden Weltenwortes (1923)
GA 351:  Mensch und Welt. Das Wirken des Geistes in der Natur. Über das Wesen der Bienen (1923)