Man kann (geistige) Dinge nicht anders aussprechen als vage, denn sie verlaufen eben in der Region des Geistigen, und unsere Sprache ist für das Sinnenfällig-Wirkliche gebildet. Man kann aber solche Dinge bildhaft zum Ausdruck bringen, indem man gewissermaßen den Vorgang aus dem Menschen herausnimmt und ihn mehr ins Kosmische rückt. Deshalb wird die Wissenschaft der Eingeweihten die Tatsache, die man äußerlich dadurch charakterisiert, daß man sagt: Ich sinne über etwas nach, was mich angeregt hat –, bildhaft ausdrücken etwa in der folgenden Weise: Der Mensch lebt – vergleichsweise wie die Magnetnadel, die kosmisch nach Norden und Süden weist, also nicht ihre Richtung von innen heraus bestimmt – kosmisch im Kosmos drinnen, und er ist im Kosmos orientiert. Er lebt so, daß wir in einer gewissen Weise seine Orientierung ins Auge fassen, wenn wir sagen: Er ist kosmisch so orientiert, daß, gewissermaßen wechselnd und pendelnd, seine Orientierungsrichtungen nach den Tierkreiszeichen gehen können. Er ist wechselnd orientiert nach Widder, Stier, Zwillinge, Krebs, Löwe, Jungfrau, Waage, Skorpion, Schütze, Steinbock, Wassermann, Fische. Er ist aber auch so orientiert, daß zunächst eine hauptsächliche Zuordnung stattfindet, daß er mit dem, was seine Hauptesnatur betrifft, wenn man diese Orientierung des Tierkreises zugrunde legt, nach oben, mit dem, was seine Extremitätennatur betrifft, nach unten orientiert ist. Deshalb kann man sagen: Es besteht schon etwas in dieser Orientierung wie ein Waagebalken, der das Obere von dem Unteren trennt (Widder-Waage). Das wäre die kosmische Orientierung des Menschen der einfach lässig sich dem allgemeinen Lebensgefühl überläßt, halb schläft und halb wach ist, wenn er so hinlullt im Leben. Wollten wir aber den Menschen so charakterisieren, daß er in einem Zustand der Seelenverfassung ist: sinnend, angeregt und aufnehmend, so versetzt man sich (dadurch) in eine Region, wo gewisse Wesenheiten den Waagebalken auf der einen Seite heben – im Geistigen muß man sagen der Waagebalken hebt sich – in der Richtung von der Waage zu der Jungfrau. [1] Man kann also fragen: Was bedeutet es, wenn der Mensch im Sinnen ist? Das bedeutet, daß er seine Lage als Mensch im ganzen Kosmos drinnen so ausnützt, daß er die Kräfte, in denen er schwingt, ausnützt, um in eine kosmische Region hineinzukommen, in welcher dieser Gleichgewichtszustand herrscht. Also Sie denken sich im Sinnen, da müssen Sie sich vorstellen, daß Ihr geistiger Raum, in den Sie sich dann versetzen, drinnensteht in einer Region, wo ein zur Ruhe gekommener Kampf stattfindet: Die Wesenheiten hier links würden die Wesenheiten rechts, und umgekehrt, bekämpfen. Aber indem Sie im Sinnen sind, ist der Kampf nicht da, sondern er ist zur Ruhe gekommen. Doch die Ruhe bedeutet, daß gewisse zur ahrimanischen Wesenheit hinneigende Wesen die Oberhand haben, so wie wenn ein Waagebalken in schiefer Lage zur Ruhe kommt, nicht mehr schwankt, weil etwas hinunterzerrt. Also ist es im Grunde genommen (schon) eine Illusion, wenn wir das Denken so schildern, wie wir es im gewöhnlichen Leben schildern. Wir müßten, wenn wir es der Wirklichkeit gemäß schildern wollten, sagen: Wir befinden uns in einer solchen Region, in der in unserem Denkraum die Gedanken dadurch zustande kommen, daß gewisse zum Ahrimanischen hinneigende Wesenheiten den Waagebalken gehoben haben auf der einen Seite. Das ist der wirkliche Vorgang.
Auch wenn wir handelnd sind, versetzen wir uns in eine gewisse kosmische Region. Da ist es aber jetzt so, daß in dieser kosmischen Region gewisse Wesenheiten, welche zum luziferischen Wesen hinneigen, den Waagebalken in dem anderen Sinne zum Steigen bringen. Wir sprechen richtig von dem Wollen, wenn wir sagen: Als wollende Menschen sind wir in einer Region, in welcher eine Hebung stattgefunden hat des Weltenwaagebalkens durch die luziferischen Wesenheiten von Stier zu Skorpion; aber diese Hebung hat stattgefunden ohne uns. Wir versetzen uns in eine solche Region, wo eine solche Hebung ohne uns stattgefunden hat. Wir können niemals in unserer Seele etwas wollen oder denken, ohne daß wir uns in Regionen versetzen, in denen geistige Kämpfe stattfinden oder geistige Kämpfe zur Ruhe kommen, oder geistige Kämpfe schon ausgefochten worden sind und wir uns in das Ergebnis des Ausfechtens versetzen und so weiter. [2]
Das, was ich Ihnen jetzt geschildert habe, das ist im menschlichen seelisch-geistigen Wesen vorhanden. Nur ist es verborgen vor dem Leben, das der Mensch zwischen Geburt und Tod verlebt; aber es ist die Wahrheit im Geistigen. Im Grunde sind die Vorstellungen, die wir uns bilden über unser Denken, Fühlen und Wollen, Halluzinationen, und die Wirklichkeit, die dahintersteckt, die ist jene, die wir auf diese Weise bildlich veranschaulichen können. Es offenbart sich für den Menschen im Abglanz so, daß es ihm erscheint als Denken, Fühlen und Wollen. Und sobald wir den Menschen betrachten, wie er geistig-seelisch ist, findet der Begriff der Entwickelung, der Evolution, keine Anwendung. Es wäre ein völliger Unsinn, wenn man davon sprechen würde, daß zum Beispiel der Mensch erst in einem gewissen Lebensalter sinnig wird, vorher mehr einer tobenden Willensnatur hingegeben ist, und daß sich das eine aus dem andern entwickle. In der geistigen Region entwickelt sich in dieser Weise nichts, sondern wir können nur sagen, wenn wir beim Kinde sehen, daß es anders vorstellt, fühlt und will als der Greis, so ist das Kind eben versetzt in eine andere geistige Region, wo die Kämpfe zwischen den verschiedenen Wesenheiten sich anders abspielen.
In dieser geistigen Region verstehen wir das Vergangene nur, wenn wir sagen, das Kampfbild, das Beziehungsbild, das Bild von den Wechselverhältnissen der Wesenheiten, die wir (unter) den höheren Hierarchien suchen, dieses Bild ist ein anderes als das Bild, das wir in dem Wechselspiel der Hierarchien haben, wenn wir von der Gegenwart reden. Und wiederum kommt ein anderes Bild heraus, wenn wir von der Zukunft reden. Und ein Unding wäre es, zu sagen, das Kampfesbild der Zukunft entwickle sich aus dem Kampfesbild der Vergangenheit. Diese Dinge sind in der Region des Geistigen in einer gewissen Beziehung nebeneinander, nicht nacheinander. Daher kann auch nicht von Entwickelung gesprochen werden, sondern nur von einer geistigen Perspektive. Das, was in der Region des Leiblich-Seelischen als Evolution, als Entwickelung erscheint, das ist gebunden an ein Geistig-Seelisches, in dem von Entwickelung nicht gesprochen werden kann, sondern nur von dem Übergehen, im Wechselverhältnis zwischen den Wesen der höheren Hierarchien, von einem Bilde zu einem anderen. [3] Wir müssen anerkennen, daß der Mensch als geistig-seelisches Wesen gar nicht in einer Entwickelung drinnensteht, daß der Begriff der Zeit in der Form, wie wir ihn im äußeren sinnenfälligen Leben kennen, gar nicht anwendbar ist, wenn wir vom geistig-seelischen Wesen des Menschen sprechen, daß wir fehlgehen, wenn wir die Zeit hineintragen in die Sphäre der höheren Hierarchien. In der Sphäre der höheren Hierarchien dauert alles. Da verlaufen die Dinge nicht in der Zeit, da haben wir es nur zu tun mit Perspektiven, in denen wir die Kämpfe und Wechselverhältnisse zu sehen haben. Der Zeitbegriff ist nicht anwendbar auf die Wechselverhältnisse in den höheren Hierarchien, und wir treiben nur eine Verbildlichung des Wesens der höheren Hierarchien, wenn wir den Zeitbegriff anwenden.
Die Wissenschaft des Eingeweihten hat die Aufgabe, dasjenige, was sich vermischt, auseinanderzuhalten, denn nur im Auseinanderhalten kann es verständlich werden (wie auch bei jeder anderen Wissenschaft). Die Wissenschaft der Eingeweihten hat immer dasjenige, was in der Region der Dauer ist, das Obere, dasjenige, was in der Region des Vergänglichen ist, das Untere genannt. Aber indem der Mensch hier auf der Erde lebt, ist er für seine Anschauung eine Vermischung des Oberen und des Unteren, und er kann niemals zu irgendeinem Verständnisse seines eigenen Wesens kommen, wenn er dasjenige anschaut, was sich hier vermischt hat. Er kann nur zu einem Verständnisse seines Wesens kommen, wenn er die beiden Dinge, die sich vermischen, auseinander zu halten versteht. [4]
[1] | GA 184, Seite 124f | (Ausgabe 1968, 334 Seiten) |
[2] | GA 184, Seite 126ff | (Ausgabe 1968, 334 Seiten) |
[3] | GA 184, Seite 128f | (Ausgabe 1968, 334 Seiten) |
[4] | GA 184, Seite 130f | (Ausgabe 1968, 334 Seiten) |
GA 184: | Die Polarität von Dauer und Entwickelung im Menschenleben. Die kosmische Vorgeschichte der Menschheit (1918) |