Origenes

Dieser Kirchenlehrer, war ebenso in dem bewandert, was mit dem Mysterium von Golgatha zusammenhing, wie er auch noch darinnen stand in der alten Weisheit, wenn auch nicht als stark Eingeweihter, so doch in hohem Maße als Wissender. Er hatte amalgamiert in seinem Weltbilde das Christus-Ereignis mit dem Weltbilde der alten Weisheit; er suchte durch sie auch dieses Christus-Ereignis zu begreifen. [1] Origenes und Klemens von Alexandria reden in einer Weise über dieses Mysterium von Golgatha und über den, der durch dasselbe gegangen ist, in einer Weise, die eben einfach gegenwärtig vor allen Kofessionen ketzerisch ist. [2]

Wenn wir diesen Origenes studieren, finden wir tatsächlich noch eine ganz andere Anschauung als die christliche, das heißt als diejenige, die dann später als die christliche Anschauung aufgetreten ist. Origenes ist durchaus noch der Meinung, daß man mit Philosophie die Theologie durchdringen müsse, daß man nur studieren könnte den Menschen mit seinem ganzen Wesen, wenn man ihn als einen Ausfluß der Gottheit betrachtet, wenn man ihn so betrachtet, daß er einstmals aus der Gottheit seinen Ursprung genommen hat. Sich dann immer weiter und weiter erniedrigt, aber durch das Mysterium von Golgatha die Möglichkeit empfangen hat, wiederum zu der Gottheit aufzusteigen, um sich dann wiederum mit der Gottheit zu vereinigen. Von Gott in die Welt zu Gott zurück, so etwa kann man den Weg bezeichnen, den Origenes als den seinigen erkannte. Und im Grunde genommen liegt so etwas auch den Dionysischen Schriften zugrunde, und es ging dann über auf solche Persönlichkeiten, von denen Johannes Scotus Erigena eine war. Es gab deren aber viele. [3] Origenes sagte sich: Wir haben es zu tun mit dem Christus: mit dem Christus, der als Geistwesen von geistigen Kräften verstanden werden kann, wir haben es zu tun mit dem historischen Jesus, mit jener Persönlichkeit, die einmal als eine wirkliche, der Sinnenwelt angehörige Persönlichkeit da war. Wie kommen die zwei zusammen – der Gott mit dem Menschen? Wie entsteht der Gottmensch? – Und Origenes machte sich eine Theorie zurecht. Er sagte sich: So ohne weiteres kann der Gott nicht in dem physischen Menschen wohnen, sondern es mußte zuerst in dem Jesus eine besondere Seele sein, damit diese Seele vermitteln kann den Gott mit dem Menschen, also den Gott als reines Geisteswesen mit dem physischen Menschen. Da fügte er die Seele hinein. – Und so unterschied er im Christus Jesus den Gott, das reine Pneumawesen, das reine Geistwesen, dann die Psyche, die Seele, und den physischen Leib des Jesus von Nazareth. Er suchte sich also eine Vorstellung zu bilden, wie der Christus in dem Jesus von Nazareth sein konnte. Er hatte nicht mehr die alte Gnosis, um das Verweilen des Christus auf der Erde und das Verbinden des Christus mit der Erdenevolution sich vorzustellen. Man mußte aus dem Frischen, aus dem Neuen heraus arbeiten. Man strengte sich an, um das zu erreichen. Also gerade als der Christus als reales Wesen sich mit der Erdenentwickelung vereinigt hatte, hatten die Menschen die größten Schwierigkeiten, diese Tatsache überhaupt zu verstehen. Die Fähigkeiten waren im allergeringsten Maße vorhanden. [4]

Man hatte also im Christlichen eine Art weitergehenden Verständnisses, als noch das Verständnis war innerhalb der alten Gnosis. Aber man brauchte, ich möchte sagen, die Nachwirkungen der Gnosis noch, um auch nur das zu sagen, was Clemens von Alexandrien sagte. Als die Gnosis allmählich ganz verschwand, konnte man auch das nicht mehr sagen, was Clemens und was Origenes sagten. Man kam immer mehr dazu, sich hineinzufinden in jene Impulse, die die Impulse der späteren Zeit waren, in die rein materialistischen Impulse. Und so kam es, daß die Lehre des Origenes verdammt wurde. Sie wurde für ketzerisch erklärt. Das Element, das es ausmachte, daß sie für ketzerisch erklärt wurde, besteht namentlich darinnen, daß man verzichten wollte auf ein solches, vom Menschen selber und seinen Kräften herkommendes Verstehen der Sache. [5]

Nichts galt für die Kirche so sehr als Ketzerei als der Gedanke der Präexistenz der Seele, und der alte Kirchenvater Origenes ist vor allem deshalb ein so schlecht angesehener Kirchenvater, weil er noch die Präexistenz der Seele kannte. [6]

Zitate:

[1]  GA 162, Seite 210   (Ausgabe 1985, 292 Seiten)
[2]  GA 175, Seite 380   (Ausgabe 1982, 416 Seiten)
[3]  GA 204, Seite 259f   (Ausgabe 1979, 328 Seiten)
[4]  GA 165, Seite 64   (Ausgabe 1981, 240 Seiten)
[5]  GA 165, Seite 67   (Ausgabe 1981, 240 Seiten)
[6]  GA 181, Seite 194   (Ausgabe 1967, 480 Seiten)

Quellen:

GA 162:  Kunst- und Lebensfragen im Lichte der Geisteswissenschaft (1915)
GA 165:  Die geistige Vereinigung der Menschheit durch den Christus-Impuls (1915/1916)
GA 175:  Bausteine zu einer Erkenntnis des Mysteriums von Golgatha. Kosmische und menschliche Metamorphose (1917)
GA 181:  Erdensterben und Weltenleben. Anthroposophische Lebensgaben. Bewußtseins-Notwendigkeiten für Gegenwart und Zukunft (1918)
GA 204:  Perspektiven der Menschheitsentwickelung. Der materialistische Erkenntnisimpuls und die Aufgabe der Anthroposophie (1921)