Neid

Wenn wir irgend jemanden beneiden, so sind wir nicht geneigt, uns jener Tugend hinzugeben, die auf den tiefsten, innersten Wesenskern, auf das Göttliche des anderen Menschen eingeht. Denn Mitfühlen hat erst dann Wert, wenn wir nicht nur Mitgefühl haben, sondern wenn wir den Kern, die geistige Wesenheit des anderen Menschen schätzen können. Menschenschätzung aber, als Grundlage des Mitgefühls, schließt in sich, daß wir die Vorzüge des anderen Menschen gelten lassen und uns über die Erfolge, die Entwickelungsstufen anderer Menschen freuen können. Und das alles schließt den Neid aus. Neid zeigt sich als Eigenschaft, die mit dem allerstärksten Egoismus des Menschen nahe zusammenhängt. Neid ist einer der schlimmsten Einflüsse Luzifers. Alles was in unserer Seele leben kann und unter Neid zu registrieren ist, gehört in sein Gebiet, und jedesmal, wenn wir eine Anwandlung von Neid haben, packt uns Luzifer an unseren Trieben in unserem Astralleib. Ahriman dagegen hat Einfluß auf unseren Ätherleib, und alles, was mit Störungen des Urteils zusammenhängt, ist auf ihn zurückzuführen, sowohl das Unwillkürliche, wenn wir ein falsches Urteil fällen, als auch das Willkürliche, wenn wir eine Lüge sagen. Verfallen wir der Lügenhaftigkeit, so wirkt in unserem Ätherleib Ahriman. Interessant ist es, daß wir Menschen diese Einwirkungen so stark fühlen, daß wir eine derart starke Antipathie haben, wenn sie auftreten, und daß die Menschen alles tun, um diese beiden Eigenschaften, Lüge und Neid zu bekämpfen. Sobald wir merken daß wir neidisch sind, daß wir lügen, tun wir jedenfalls alles, es zu bekärnpfen. Damit nehmen wir also auf diesem Gebiete den Kampf gegen Luzifer und Ahriman auf. Nun tritt aber häufig etwas auf, was wir beachten sollen, wenn wir uns der Geisteswissenschaft widmen. Wir können die einzelnen Anwandlungen von Neid und Lüge bekämpfen, aber wenn diese Eigenschaften in unserer Seele sitzen, wenn wir sie in früheren Inkarnationen erworben haben und sie nun bekämpfen, dann treten sie als andere Eigenschaften auf. Wenn wir versuchen, eine aus früheren Inkarnationen herrührende Neigung zum Neid zu bekämpfen, so nimmt der Neid eine Maske an. Luzifer sagt: Der Mensch kämpft gegen mich, er ist auf sein Neidgefühl aufmerksam geworden. Ich übergebe diesen Menschen meinem Bruder Ahriman. [1]

Die Leidenschaft, das Gefühl des Neides ist im Astralleibe. Und nun gibt es ein bestimmtes Gesetz, welches besagt, daß Eigenschaften, die in unserem Astralleibe auftreten und durch ihre Abscheulichkeit die Sehnsucht in uns erregen, sie uns abzugewöhnen, in unseren Ätherleib sich hineinschleichen und dann dort auftreten in täuschenden Formen. [2] Und der Neid, den wir bekämpfen, tritt dann häufig im Leben so auf, daß wir die Begierde bekommen, die Fehler anderer Menschen aufzusuchen und recht viel zu tadeln. Wir begegnen im Leben manchem Menschen, der wie mit einer gewissen hellsichtigen Kraft immer die Fehler und Schattenseiten anderer Menschen herausfindet, und wenn wir dieser Erscheinung auf den Grund gehen, so liegt er darin, daß der Neid sich in Tadelsucht umgewandelt hat, und diese scheint dem betreffenden Menschen eine recht gute Eigenschaft zu sein. Es ist gut, so sagen sie, daß man auf das Vorhandensein dieser schlechten Eigenschaften aufmerksam macht. Hinter solcher Tadelsucht steckt aber nichts anderes als umgewandelter, maskierter Neid.

Ein Mensch ist zum Beispiel in seiner Jugend neidisch. Der Neid tritt nachher nicht mehr hervor, und es zeigt sich die Umwandlung desselben im Alter wieder dadurch, daß der Betreffende sich mit der Eigenschaft der Unselbständigkeit zeigt, des Abhängig-sein-Wollens von anderen Menschen, immer andere Menschen haben zu müssen, die raten und helfen. Eine gewisse moralische Schwäche tritt als die Folge des umgewandelten Neides auf, und wir werden immer sehen, wenn jemand diese moralische Schwäche hat, daß da die karmische Folge des umgewandelten Neides vorliegt. [3] Was so als moralische Schwäche in einer Inkarnation auftritt, wirkt organisierend in der nächsten Inkarnation. [4] Im Grunde wirkt Karma so, daß es wie eine leise Erfüllung in derselben Inkarnation noch zum Ausdruck kommt, maßgebend aber für den Charakter wird es in der nächsten Inkarnation. So tritt, wo Neid in der Jugend sich gezeigt hat, Hilflosigkeit im Alter auf, Das ist eine leise karmische Nuance. Die bleibt dann bestehen auch nach dem Tode und wirkt weiter durch Kamaloka hindurch, und das was sich dann als aufbauende Kräfte für das nächste Leben zeigt, das enthält diese karmische Nuance und verwebt sie in das, was als Grundcharakter der drei Leiber, des physischen, des Ätherleibes, des Astralleibes, im nächsten Leben sich ausdrückt. Ist nun Neid eine Grundeigenschaft des Charakters in der einen Inkarnation, so wirkt diese in der nächsten Inkarnation in alle drei Leiber hinein und wird dann eine schwache Gesundheit zur Folge haben. [5]

So werden wir unter diejenigen Menschen hineingeboren, die wir beneidet haben, oder die wir getadelt haben. Wenn ein Kind mit einem schwachen Leib in eine Umgebung hineingeboren wird, sollten wir uns fragen: Wie haben wir uns da zu verhalten? Das richtigste Verhalten muß dasjenige sein, was moralisch das hochsinnigste ist: zu verzeihen. Es wirkt ungeheuer erzieherisch, wenn wir einem schwachen Kinde, das in unsere Umgebung hineingeboren ist, liebend verzeihen können. Derjenige, durch den das wirklich kraftvoll geschieht, wird schon sehen, daß das Kind dadurch stärker und stärker wird. Bis auf das Denken hinein muß verzeihende Liebe wirken, denn dadurch kann das Kind Kräfte sammeln, um sein früheres Karma umzubiegen und in die richtige Richtung zu bringen. Das Kind wird auch leiblich stark werden. Ein solches Kind zeigt oftmals Eigenschaften, die unangenehm sind. Wenn wir es (trotzdem) lieben – bis ins allertiefste Herz, so wirkt das als das intensivste Heilmittel, und wir werden bald finden, wie wirksam dieses Heilmittel ist. [6]

Karmisch kommt eigentümlicherweise dasselbe heraus, ob man den Neid ursprünglich oder in umgewandelter Form als Kritikasterei auftauchen läßt. Verfolgt man einen in der Jugend neidischen Menschen oder einen Kritikaster bis ins spätere Alter, so wird man sehen, daß sie dazu kommen Unsicherheit im Alter zu haben. [7] Beim Neid wird der Ätherkörper angegriffen, bis zur Hemmung der Blutzirkulation kann das gehen. [8]

Zitate:

[1]  GA 125, Seite 192ff   (Ausgabe 1973, 278 Seiten)
[2]  Bei 45, Seite 4   (Ausgabe 1974, 0 Seiten)
[3]  GA 125, Seite 194ff   (Ausgabe 1973, 278 Seiten)
[4]  GA 125, Seite 196   (Ausgabe 1973, 278 Seiten)
[5]  Bei 45, Seite 5   (Ausgabe 1974, 0 Seiten)
[6]  GA 125, Seite 197   (Ausgabe 1973, 278 Seiten)
[7]  GA 127, Seite 35   (Ausgabe 1975, 256 Seiten)
[8]  GA 266/1, Seite 431   (Ausgabe 1995, 622 Seiten)

Quellen:

Bei 45:  Beiträge zur Rudolf Steiner Gesamtausgabe. Heft 45 (1974)
GA 125:  Wege und Ziele des geistigen Menschen. Lebensfragen im Lichte der Geisteswissenschaft (1910)
GA 127:  Die Mission der neuen Geistesoffenbarung. Das Christus-Ereignis als Mittelpunktsgeschehen der Erdenevolution (1911)
GA 266/1:  Aus den Inhalten der esoterischen Stunden. Band I (1904-1909)